Oft beginnen Reisen ja schon lange bevor wir den ersten Fuß aus der Wohnungstür setzen. So war es auch hier. Sieben Linden ist bei uns schon lange im „Orbit“, aber wir waren noch nie da. Wir dachten, mit zwei kleinen Kindern – zum Zeitpunkt unseres Besuchs gerade vier und ein Jahr alt – bekommen wir das nicht hin. Kleiner Spoiler: es war auch anstrengend, aber nicht so anstrengend wie gedacht.
Ein paar Wochen vor der Fahrt nach Sieben Linden sprechen wir darüber, ob wir wirklich fahren wollen. Ob wir das schaffen, ob es gerade wichtig genug ist, um diese Energie zu investieren. Das Risiko einzugehen, dass wir uns vollkommen überfordern. Wir hatten uns schon auf „absagen“ geeinigt und ich das Handy in der Hand, um abzusagen. Drei Atemzüge später höre ich mich zum Bärtigen sagen: „Ich möchte nach Sieben Linden.“ Der lacht. Nun denn, fahren wir wohl. Angst oder Liebe? Heute Liebe.
Dieser Artikel ist vor allem ein „Tagebucheintrag“ für uns und darf gleichzeitig anderen interessierten Menschen oder Familien dienen, um einzuschätzen, ob sie Lust haben Sieben Linden im Rahmen der Infowoche (oder natürlich auch im Rahmen anderer Formate) kennenzulernen.
Was ist Sieben Linden?
Für alle LeserInnen, die noch nichts davon gehört haben eine kurze Erklärung: Das Ökodorf Sieben Linden in Beetzendorf ist eine nachhaltige Lebensgemeinschaft in der Altmark, Sachsen-Anhalt. Gegründet im Jahr 1997, verfolgt die Gemeinschaft das Ziel, ein umweltfreundliches und ressourcenschonendes Leben zu führen. Die derzeit ca. 150 Bewohner leben in ökologisch gebauten Häusern, nutzen erneuerbare Energien und betreiben biologische Landwirtschaft zur Selbstversorgung. Das Dorf bietet zudem Workshops und Seminare zu Themen wie Permakultur, Gemeinschaftsbildung und nachhaltigem Leben an. Sieben Linden dient als Modellprojekt und Inspirationsquelle für nachhaltige Lebensweisen und zukunftsfähige Gemeinschaften.
Wir waren Ende Juni 2024 für 5 Nächte zur „Infowoche und Urlaub“, hatten also vormittags Programm und nachmittags frei.
Wie wir nach Sieben Linden starten – Gedanken über Leben in Gemeinschaft
Wir kennen ein paar Gemeinschaften, deswegen hatten wir zumindest ein ungefähres Bild davon, wie es in Sieben Linden sein könnte. Allerdings ist es das allererste Mal mit Kindern in Gemeinschaft. Zumindest wenn man von den privaten Besuchen bei meinem Onkel in der Lebens(t)raumgemeinschaft Jahnishausen absieht.
Vor der Geburt unserer Kinder waren wir öfter im ZEGG und haben dort tolle Menschen kennengelernt und sehr viel Unterstützung auf unserem Weg erfahren. Durch unser Männer- und Frauenjahrestraining haben wir das Parimal ein bisschen kennengelernt. Und jedes Mal wieder keimt die Frage, ob das nicht auch was für uns wäre – Gemeinschaft. Bisher haben wir nie das Gefühl gehabt von „jetzt ist es soweit“. Zu sehr kleben wir am Bekannten. Ein Umzug – gerade in Gemeinschaft – braucht einfach wahnsinnig viel Energie, weil es eben nicht nur ein Umzug ist, sondern ein „umpflanzen“ unseres Lebens.
Dazu passt: Leben und Lieben neu entdecken: Erfahrungen aus dem ZEGG
Aber auch nicht zu entscheiden ist eine Entscheidung. Nämlich für das, was jetzt gerade ist. Unser Leben in der Stadt auf unseren 80qm. Daran ist erstmal nichts falsch, wir haben hier nichts zu erleiden und freuen uns, dass wir alle täglichen Wege mit dem Rad machen können. Aber es fühlt sich eben auch nicht ganz und gar nach uns an. In 5 Jahren sehen wir uns hier einfach nicht mehr. Wir beschäftigen uns auch immer wieder mit dem klassischen Hauskauf in und um Hannover, aber so richtig passte da bisher auch nichts. Das wäre eher ein „weg von“ der Stadt, der Enge, der Lautstärke und weniger ein „hin zu“ etwas, was sich wirklich nach uns anfühlt. Wir versuchen an vielen Stellen so nachhaltig zu leben wie es eben geht – im klassischen Haus bräuchten wir aber vermutlich sogar zwei Autos. Auch nicht hilfreich. Und viel zu viel Fläche heizen, die wir gar nicht immer brauchen. Deswegen besuchen wir Sieben Linden zuallererst aus Neugier und der Freude daran, mal wieder in einem solchen „Feld“ zu sein. Aber auch, um zu schauen, ob wir vielleicht gut zueinander passen.
Einige Tage vorher besprechen wir, dass wir in erster Linie gut für uns, unsere Kinder und unser aller Bedürfnisse sorgen wollen. Erst danach kommt das Seminar, der Ort, die Gruppe, die Gemeinschaft. Das muss so sein, sonst schaffen wir es nicht. Eigentlich sollte das selbstverständlich sein, ist es aber zumindest bei uns oft nicht. Es nochmal auszusprechen und gemeinsam zu bejahen gibt unserem Vorhaben Kraft. Und in jedem Fall werden wir mehr von Sieben Linden mitbekommen als wenn wir nicht fahren.
Ankunftstag und erste Erkundungen
Genug der Vorrede, nun fahren wir also los. Zwei Stunden Autofahrt, zwei kleine Kinder. Yeah! Kann anstrengend werden, wird es auch. Naja, irgendwie schaffen wir es und sind ziemlich erledigt, als wir ankommen. Zug fahren wollten wir nicht wegen des vielen Krams, vielleicht teilen wir uns für die Rückfahrt auf. Die Öffi-Verbindung nach Sieben Linden ist zwar gemächlich, aber mit sehr wenig umsteigen. Vom Bahnhof Wolfsburg fährt der Bus bis vor die Haustür.
Wir können als eines der ersten Dinge Mittagessen. Hm… lecker, Essen in Sieben Linden. Fast alles ist vegan, bio, zu großen Teilen selbst angebaut und mit Liebe gekocht. Das schmeckt man.
Danach können wir unsere Zimmer im „Strohtel“ beziehen. Wir holen mit einer ziemlich großen Karre all unser Gepäck aus dem Auto.
Die Zimmer sind richtig gut für uns als Familie geeignet. Wir haben die „Duo-Zimmer“ – also zwei Zimmer mit jeweils zwei Betten die wir zusammenschieben und einem gemeinsamen Bad. Wir haben durch die Terassentüren Blick auf den „Dorfplatz“, aber mit genügend Abstand, sodass es trotzdem richtig viel Privatsphäre gibt. Und schön für mich, dass ich die abendlichen Juni-Sonnenstrahlen zumindest von drinnen genießen kann, auch wenn ich gerade auf zwei schlafende Kinder aufpasse.
Fast alle Häuser in Sieben Linden bestehen aus Holz, Lehm und Stroh. Dafür sieht es ganz schön hübsch aus. Im gesamten Dorf sind auch in den Häusern Trockentrenntoiletten verbaut. „Wir scheißen nicht ins Trinkwasser“ heißt es hier. Sehr sympathisch und schön, dass man hier so bequem einfach „mitmachen“ kann um Wasser zu sparen. Wir kennen das Prinzip Trenntoilette aus unserem Garten, trotzdem finde ich es anfangs gewöhnungsbedürftig nicht zu spülen. Das gibt sich aber bald.
Ein Toilettenaufsatz für Kinder ist da, Zahnpasta, Shampoo und Duschgel auch (wegen der Pflanzenkläranlage). Die Steckdosen sind gesichert und selbst ein Babyphone hätte man sich leihen können. Zwei TripTraps gibt’s ebenso im Gäste-Essbereich – einen mit und einen ohne Babyaufsatz. Was diese „Kinder-Dinge“ angeht ist wirklich für alles gesorgt. Und: Im Dorfladen gibt es sogar die Eco by Naty Windeln in allen Größen, die hätten wir gar nicht mitbringen müssen.
An dem Nachmittag erkunden wir ein wenig den Spielplatz und den Löschteich. Der Bärtige ist insgesamt sehr gerührt, dass wir – gefühlt endlich – mit beiden Kindern hier sind und ist immer mal wieder den Tränen nahe. Das rührt auch mich. Es ist schön und fühlt sich erfüllend und sinnvoll an, unseren Kindern schon früh auch diese Welt zu zeigen. Diese Welt des tiefen menschlichen Miteinanders, die uns selbst schon so viel weitergeholfen hat auf unserem Weg – individuell, als Paar und auch als Eltern. Nur wenn unsere Kinder wissen, was es für Alternativen gibt, können sie irgendwann für sich bewusst wählen. Und wir werden (fast) jede Wahl unterstützen, so gut wir können.
Was uns gleich auffällt, ist wie viel „Getier“ hier rumflattert – also Insekten, Schmetterlinge, Vögel und dergleichen. Schön und auch mal wieder gewöhnungsbedürftig. Es verirren sich durchaus mal Insekten in die Innenräume und kommen da auch nicht immer wieder raus. Das kennen wir in dem Umfang von zu Hause gar nicht, weil es in der Stadt einfach gar nicht so viele Insekten gibt.
Erst um 18:30 Uhr gibt es Abendessen, für uns beziehungsweise für die Kinder ist das sehr spät. Ablenkung hilft aber, beide Kinder kooperieren viel und liegen 19:45 Uhr vollkommen erledigt im Bett. Zumindest Christian kann 20 Uhr zum Beginn des Seminars da sein. Ich möchte die Kinder – trotz Babyphone-Option – nicht am ersten Abend alleine im Zimmer lassen und bleibe da.
Eine kleine Überraschung, die ich hätte wissen können, aber irgendwie nicht ganz zu Ende gedacht habe: es gibt hier nicht nur keinen Handyempfang zum Telefonieren, sondern auch kein Mobilfunknetz fürs Internet. Und ich habe kein Buch mit, weil ich dachte, ich komme sowieso nicht zum Lesen. Puh, was mach ich denn jetzt? Christian läuft noch kurz rüber in den Gästebereich und organisiert mir zwei Bücher 😀 Eigentlich war sein Auftrag, mir einen LAN-Kabel-Handy-Adapter zu holen, es ist aber niemand mehr da, den wir fragen können (Was vollkommen ok ist an einem Sonntagabend!). PS: Das Deutschlandspiel gegen die Schweiz läuft an diesem Abend. Bitter, sogar für mich Teilzeit-WM-und-EM-Fußballfan.
Da beide Kinder gerade fest schlafen und der Seminarraum ebenfalls im „Strohtel“ ist, tauschen Christian und ich später noch kurz und ich kann zumindest mal bei den anderen Teilnehmenden „Hallo“ sagen, das ist schön und gibt mir ein erstes Gefühl für die Gruppe. Wir sind mit Abstand die jüngsten und auch die einzige Familie, das ist wohl aber sehr unterschiedlich von Kurs zu Kurs.
Tagesablauf und Inhalte der „Infowoche mit Urlaub“
Der Tag wird eigentlich von den Mahlzeiten bestimmt – so ähnlich ist es ja zu Hause auch. 07:30-09 Uhr gibt es Frühstück, 13 Uhr Mittagessen, 18:30 Abendessen.
Die Infowoche wird von Stefan geleitet, einem drahtigen, sympathischen Mann mittleren Alters der schon gefühlt ewig hier lebt und viel zu erzählen hat. Er lässt sich gerne und viel befragen und hat manchmal ganz schön zu tun, die vielen durchaus durcheinandergewürfelten Fragen der neugierigen Gäste zu beantworten oder für später zu parken.
Der Montag startet mit einem Rundgang durchs Dorf und durch einen Teil des Waldes. Die verschiedenen Wohnhäuser, der selbst bewirtschaftete Wald, der riesige Gemüsegarten, der eigene Waldkindergarten. Spannend ist es, den physischen Teil von Sieben Linden zu sehen – und außerdem sehr warm. Es ist gefühlt die bisher wärmste Woche dieses Sommers. Während des Rundgangs habe ich auch eine der wenigen Gelegenheiten, mich mit den anderen TeilnehmerInnen ein wenig zu unterhalten. Sehr unterschiedliche Menschen sind dabei, einige überlegen in Gemeinschaft zu ziehen, einige sind „nur“ neugierig. Die Mahlzeiten begehen wir in Familie, auch weil die anderen draußen essen, wir aber nicht jedes Mal die Kinderstühle raustragen wollen. Außerdem ist es gut für uns, auch immer wieder mal zu viert zu „landen“. An den Abenden bin ich bei den Kindern, da ist auch nicht viel Gelegenheit zum Austausch mit den anderen. Der Bärtige geht an ein paar Abenden nochmal mit raus, in die Kneipe oder zum Abschlussabend.
An den folgenden Vormittagen geht es um alles Mögliche – die Organisationsstruktur, das soziale Miteinander, Forum, die Bauweise der Häuser, die Funktion der Toiletten und Infos für Zuzugsinteressierte. Sicher habe ich so einiges vergessen, das findet ihr aber auf der Website.
Wir waren jeden Tag von 09:15 Uhr bis kurz vor dem Mittagessen zusammen in der Gruppe mit ein oder zwei Pausen dazwischen. An insgesamt drei Vormittagen hatten wir die Gelegenheit, BewohnerInnen in ihren Häusern zu besuchen und im direkten Gespräch mehr zu erfahren und Fragen zu stellen.
Das ist für uns besonders spannend – zu hören, wie Menschen die hier leben ganz konkret ihren Alltag gestalten, was sie arbeiten, wie sie leben, was sie bewegt. Das macht greifbarer, wie ein Leben hier wirklich aussieht. Ganz grundsätzlich und natürlich auch, ob und wie das für uns aussehen könnte.
Ich versuche immer, den Mittagsschlaf unserer kleinen Tochter recht zeitig zu legen, damit sie 13 Uhr zum Mittagessen wieder wach ist und wir beide essen können. Das hat auch fast immer geklappt. Einmal habe ich es mir auch gegönnt, mit dem schlafenden Baby aus dem Seminar zu gehen, sie ins Bett zu legen ich mich daneben. An dem Teil des Vormittags ging es um Finanzen. Das finde ich auch interessant, ist aber eher das Steckenpferd des Bärtigen bei uns. Und ich brauchte einfach Pause.
Überhaupt haben wir ganz schön zu tun gehabt, unsere Abläufe mit denen der Gemeinschaft und des Seminars zusammenzubringen.
Wir duschen gerne beide morgens – einer von uns ist immer mit den Kindern zum Frühstück vor gegangen, der jeweils andere konnte in Ruhe duschen. Wobei wir gemerkt haben, dass die Zeiten alleine im Bad irgendwie kürzer ausfallen als zu Hause – so ganz ohne Handyempfang hier 😀
Wir versuchen weiter, unseren Perfektionismus abzulegen, was das „hier sein“ angeht. Wir bekommen so viel mit, wie wir halt mitkriegen. Wir sind nicht so in der Gruppe integriert wie „früher“, schlicht weil wir auf dem Spielplatz sind oder am Teich, während die anderen Fahrradtouren machen oder Tischtennis spielen. Und wir schlafen einfach viel, weil die Tage doch auch fordernd sind. Wenn ich zum Mittagsschlaf unserer Tochter im Seminar bleibe habe ich von 6 Uhr bis 19:30 Uhr keine wirkliche Pause. Und die Nächte sind auch wechselhaft. Die Nachmittage sind durchaus auch anstrengend, weil unser großer Sohn einfach schnell überreizt ist und das dann entsprechend ausagiert. Dann liege ich auch mal 20 Uhr selbst im Bett, weil meine Akkus einfach leer sind.
An den Abenden gibt es auch ein optionales Programm – Sauna, Kneipe oder Film gucken. Den aktuellen Film über Sieben Linden „Kein richtig falsches Leben“ kaufen wir im Laden auf DVD. Man kann ihn online auch hier zum streamen ausleihen. Sehr sehenswert, wenn man mehr wissen möchte.
Alles in allem finde ich die Infowoche und die Inhalte wirklich gelungen. Besonders schön ist, dass hier jeder etwas mitnehmen kann – sowohl diejenigen, die bereits Gemeinschaftserfahrungen haben, als auch diejenigen, für die eine solche Gemeinschaft eine ganz neue Erfahrung ist. In vielen Gemeinschaften ist es gar nicht so einfach möglich, sie mal eben kennenzulernen oder zu besuchen. Für diesen Wunsch, einfach mal da zu sein, ist diese Woche ein wirklich passendes Angebot.
Gäste mit Kindern und Kinderbetreuung in Sieben Linden
In einigen Seminarbeschreibungen ist vermerkt, dass man mit 4 Wochen Vorlauf eine Kinderbetreuung anfragen kann, dann versuchen die Sieben Lindener etwas zu organisieren. Ich hatte keine Vorstellung, wie das werden würde und mache mir vorher viele Gedanken darum. Unser großer Sohn ist wirklich kein „Hallo hier bin ich, los geht’s“- Kind. Aber schon im Vorhinein kann ich mit einer Sieben Lindenerin per E-Mail einige Fragen klären – ihre Zeilen haben mich sehr beruhigt.
Wir sind wirklich dankbar, dass Sieben Linden diese Möglichkeit der Kinderbetreuung überhaupt anbietet – ohne diese Option wäre der Besuch wirklich nicht möglich gewesen. Wir fühlten uns sehr gut unterstützt, auch wenn wir „nur“ Gäste für eine sehr kurze Zeit waren. Nicht nur durch die Kinderbetreuung, sondern auch durch solche Kleinigkeiten, dass es vollkommen ok ist, wenn wir unseren Essplatz nicht immer ganz sauber hinterlassen haben. Mit zwei Kindern in fremder Umgebung zu essen und der Idee, auch selbst was essen zu wollen sind wir durchaus gut beschäftigt. Und manchmal wollen wir vielleicht auch mal drei Minuten eine Unterhaltung führen oder in die Luft starren und nicht sofort den Lappen holen, wobei wir das natürlich trotzdem oft machen.
Die Kinderbetreuung selbst ist große Klasse! Anni, eine sehr sympathische Sieben Lindenerin verbrachte die Vormittage mit unserem Großen. Sie ist toll mit den Kindern, einladend, aber nicht aufdrängend, liebevoll, aber nicht überzogen, sie zeigt echtes Interesse und hat viele gute Impulse. Was ist, darf sein – zu Beginn bleiben die beiden einfach noch mit uns im Seminarraum. Unser großer Sohn ist so „fein“ in seinem Wesen und braucht einfach viel Zeit um sich mit neuen Situationen zu arrangieren, sonst ist er schnell überfordert. Anni begegnet seiner Feinheit so einfühlsam, dass es für ihn wirklich leicht ist, sich auf sie einzulassen. Als dann noch ein gleichaltriges Mädchen aus dem Dorf an den Vormittagen dazukommt ist das Eis schnell gebrochen. Unser großer Sohn lässt Anni die größte Auszeichnung zuteil werden die wir von ihm kennen – er fragt nach ihr und wann wieder „Anni-Zeit“ ist. Das kennen wir quasi nicht von ihm, selbst bei Menschen mit denen er sehr viel mehr Zeit verbringt.
Während der Vormittage bauen sie im „Gemeinschafts-Kinderzimmer“ Höhlen, duschen die Alpakas, bemalen einen Stoffbeutel und unternehmen sonst ganz viele schöne Dinge.
So oft und selbstverständlich wie wir in unserer Gesellschaft unsere Kinder „fremdbetreuen“ lassen, so sehr finde ich es einen fast intimen Vorgang, einem anderen Menschen eines meiner Kinder anzuvertrauen. Diese kleinen Menschen, die man auch ein bisschen lesen können muss, um zu wissen was es gerade braucht, die noch ganz tief abhängig sind von den Erwachsenen und die ich so sehr liebe wie nichts sonst auf der Welt. Bei Anni kann ich mein Kind gut loslassen und habe ihn ja auch zum Mittagessen schon wieder.
Am letzten Tag hat Anni einen wichtigen privaten Termin und jemand anders ist eingesprungen, das hat wunderbar geklappt. Die „neue“ junge Frau bäckt mit Oskar vormittags einen veganen Möhrenkuchen. So lecker! Wir werden nach dem Abschluss-Mittagessen am Freitag also mit ordentlich Kuchen im Bauch verabschiedet.
Unsere kleine Tochter will nach zweimal versuchen nicht bei Anni bleiben – das ist für uns wenig überraschend, sie kennt es noch gar nicht, dass jemand anders als Mama oder Papa bei ihr sind. Und in solchen aufregenden Situationen wie diesen geht selbst Papa nicht immer. Die Kleine haben wir also im Seminar dabei. Das ist nicht immer ganz einfach, hat aber unterm Strich gut geklappt.
Oft spielen wir mit ihr einfach in einer Ecke. Da gerade „laufen lernen“ dran ist, laufen wir auch einfach viele Runden – um die Gruppe und mitten durch. Bei einem eher informativen Seminar ist das kein Problem, in mir keimt natürlich die Frage, wie das wird, wenn es um persönlichere Prozesse geht und ein mittlerweile sehr mobiles und oft auch gut hörbares Kleinkind nicht so gut dabei sein kann. Wir werden sehen.
Menschen in Sieben Linden
Neben der Organisationsstruktur ist es für uns richtig spannend ein allererstes Gefühl dafür zu bekommen, was für Menschen hier leben. Insbesondere als Teil einer ersten Antwort darauf, ob wir uns vorstellen könnten, den Weg der Annäherung weiter zu gehen, um hier – ganz vielleicht – irgendwann auch zu leben.
Die ganzen Zahlen, Daten und Fakten, Theorien und Strukturen sind mit Sicherheit wichtig. Noch wichtiger ist für uns, mit wem wir unseren Alltag teilen würden. Die Kontakte zu Sieben Lindenern sind in den 5 Tagen natürlich überschaubar, aber dennoch durchaus vorhanden. Es gibt viele kleine Begegnungen, vor allem mit den Menschen im Gästeteam, die gar nicht sehr intensiv waren, aber natürlich trotzdem unser inneres Bild von Menschen hier prägen. Und tatsächlich ist es schön zu sehen, dass wir mit den meisten Menschen, die wir treffen, auf Anhieb eine gewisse Grundsympathie haben.
Den häufigsten Kontakt haben wir zu Stefan, der die Infowoche leitet und mit dem wir häufiger auch gemeinsam essen. Der Kontakt ist schön, herzlich und… fühlt sich „barrierefrei“ an. Mit fällt gerade kein besseres Wort ein. Wir haben keine Vorbehalte, irgendwas zu fragen oder zu teilen, aus Angst, er könnte uns bewerten. Diese Art von Unvoreingenommenheit, das Gefühl grundlegend richtig zu sein mit dem wie wir sind macht es leicht, uns voll und ganz einzulassen.
Mit Stefan gibt es auch einen sehr herzlichen Abschied – wir „quatschen“ auch nebenbei viel und haben uns ein kleines bisschen kennengelernt. Ich frage mich manchmal wie das für ihn ist, diese Infowoche zu betreuen – schließlich ist das, worüber er redet, sein zu Hause. Er scheint da aber recht routiniert und ist ja Gästebetrieb auch gewöhnt.
Mit der Familie des Mädchens, mit dem Oskar die Vormittage verbringt, verbringen wir auch einige Zeit. Sie wohnen selbst noch gar nicht allzu lange hier, haben auch gerade das zweite Kind bekommen und arbeiten beide überwiegend im Home Office. Dadurch ist es natürlich leicht, uns in ihnen zu erkennen, da wir eine ungefähr vergleichbare Situation hätten, wenn wir in Sieben Linden ankommen sollten. Sie laden uns zu sich nach Hause ein, die Kinder spielen zumindest eine Weile relativ entspannt und wir haben Zeit für einen sehr offenen und herzlichen Austausch.
Über die schönen Dinge, für die sie dankbar sind seit sie hier sind, all das was es zu feiern gibt. Und auch über die Dinge, die sie sich anders wünschen würden, vor allem als Familie. Das ist richtig wertvoll. Dass es überall individuelle Schattenseiten gibt ist klar, vorher davon schonmal gehört zu haben macht, dass es weniger Überraschungen gibt und sich das Bild vervollständigt. Es erleichtert ein bewusstes „Ja“ auch zu den Dingen, die vielleicht (noch) nicht so toll sind.
Und es ist schön zu entdecken, wie viele Ähnlichkeiten es gibt zwischen den Menschen, die ihren Weg in so ein Feld suchen und finden. Neben vielen anderen Themen zum Beispiel auch die Beschäftigung mit der friedlichen Geburt.
Auch mit einer anderen Sieben Lindenerin, die sich viel um die Kinder-Themen hier zu kümmern scheint und uns das „Kinderzimmer“ gezeigt hat, können wir länger sprechen. Bei ihr ist es total spannend ausschnittsweise zu erfahren, was sie für eine Sicht auf die kleinen Menschen hat und eine erste Ahnung zu bekommen wie – zumindest aus ihrer Brille – das Zusammenwirken vom großen Gemeinschaftssystem und den verschiedenen Familiensystemen funktionieren kann.
Im Rahmen der „Hausbesuche“ lernen wir auch Irma kennen. Sie ist fast 80, wohnt im Bauwagen und hat gefühlt ihr Leben dem Frieden auf Erden gewidmet. Sie ist total nahbar und gleichzeitig habe ich eine große Ehrfurcht vor der unterhaltsamen alten Frau, die gar nicht so alt wirkt und Sieben Linden mitgegründet hat. Ihr Werk und das vieler anderer hat Sieben Linden dorthin gebracht, wo es heute ist. Vor allem wenn man hört, wie die ersten Jahre, vor allem die ersten Winter waren finde ich es beachtlich, welche persönlichen Entbehrungen die Menschen für die Idee dieses Ökodorfs auf sich genommen haben und wie viel Kraft sie einfach in Sieben Linden (und andere Projekte) gesteckt haben. Wer mehr von Irma hören möchte kann hier in den Sieben Linden Podcast hören.
Wie geht es unseren Kindern hier?
Der Große ist relativ schnell wie ausgewechselt. Er bewegt sich frei, will schonmal vorgehen zum Essen (macht er tatsächlich nicht aber denkt zumindest darüber nach, schon das ist neu). Er kommt irgendwann total stolz zu uns und erzählt, dass er „mit anderen Erwachsenen“ geredet hat. Alles Seiten an ihm, die wir sonst wenig kennen.
Die Kleine hat mit den vielen Eindrücken, wenig Schlaf und durchbrechenden Zähnen durchaus zu kämpfen. Und Mama mit ihr. Die erste Nacht ist sehr unruhig, nachts um vier muss ich sie einmal tragen, weil sie sich nicht mehr beruhigt. Und das mit der Frage im Kopf, wie schallisolierend Wände aus Lehm und Stroh eigentlich sind 😀
Unsere Zimmernachbarn bekommen aber wohl nichts mit. Im Verlauf der Woche haben wir auch eine Fieber-Nacht, es bleibt aber dankenswerterweise bei dieser einen Nacht. Im Seminarraum fühlt sie sich nach und nach ganz wohl, auch wenn der Kontakt zu anderen Erwachsenen zu dieser Zeit nicht so ihr Ding ist.
Worüber ich mir vorher einige Gedanken mache, ist die Abhängigkeit von den Essenszeiten in der Gemeinschaft und auch, dass es natürlich etwas „anderes Essen“ gibt als zu Hause. Wenn wir zu Hause etwas essen wollen, das die Kinder nicht mitessen, machen wir ihnen halt Nudeln mit Tomatensoße. Diese Option haben wir hier nicht. Ich habe oft großes Mitgefühl mit unserem großen Sohn, wenn er wieder irgendwas nicht will, weil ich selbst als Kind relativ „mäklig“ war und weiß, wie schlimm es ist, wenn man Dinge essen soll, bei denen der Körper laut Nein! sagt. Auch das gehört zu einem relativ sensiblen Kind halt dazu. Die Kleine ist da nicht so wählerisch, sie probiert zumindest fast alles und wird auch immer satt. Dieses Thema ist schon manchmal fordernd, aber auch nicht so schlimm, wie ich es befürchtet habe. Trotzdem kaufen wir bei erster Gelegenheit im Laden Bananen für „zwischendurch“ und haben ein bisschen gesunden Knabberkram, den wir von zu Hause mitgebracht haben.
Um die relativ langen Abstände zwischen den Mahlzeiten zu überbrücken, schmieren wir zum Frühstück immer ein Vormittags-Brot und packen es in eine Dose. Das klappt gut.
Der Naturwarenladen hat immer nach dem Mittagessen für anderthalb Stunden geöffnet – außer montags. Da muss man dann also auch alles kaufen, was man so braucht. Es gibt auch Eis, sogar veganes. Das kriegt unser Großer dankenswerterweise aber erst nach ein paar Tagen mit. Mit dem Mädchen, mit dem er die Vormittage verbringt, verabredet er sich auch einmal nach dem Mittagessen zum Eis essen. Wir machen das aber nur einmal, denn für die andere Familie ist es schließlich Alltag und kein Urlaub. Und sie versuchen – wie wir – den Zuckerkonsum im Zaum zu halten, so gut es eben geht.
Die fehlende Verdunklung in den Zimmern ist tatsächlich weniger ein Problem, als wir erst gedacht haben. Und das obwohl gerade die längsten Tage des Jahres sind. Gefühlt dauert das Einschlafen etwas länger und wir sind oft recht zeitig wach, aber das kann auch an der Situation insgesamt liegen, die ja für die Kinder auch einfach eine Ausnahmesituation ist.
Wie geht es uns in Sieben Linden – ein paar ganz weltliche Beobachtungen
Der erste Punkt ist ganz banal – mein Heuschnupfen. Aber die Anekdote finde ich sehr bezeichnend für „Gemeinschaft“, deswegen kommt sie hier trotzdem rein. Zu Hause komme ich mit homöopathischen Heuschnupfentabletten gut zurecht, in Sieben Linden reicht das nicht mehr. Ich halte es anderthalb Tage durch, dann spreche ich Stefan an. Die nächste Apotheke ist einige Kilometer weit weg und vielleicht gibt es hier auch Heuschnupfen-Allergiker, die mir weiterhelfen können. Er lacht und sagt: „Auch dafür gibt es doch Gemeinschaft.“ Er nimmt mich mit in die „Hausapotheke“. Es gibt einen kleinen, aber doch sehr vollen Raum mit Medikamenten, die offenbar gerade niemand akut benötigt. Ich finde ein seit 10 Jahren abgelaufenes Cetirizin, probiere es und es wirkt auch gut. Toll ist es nicht, weil ich unsere kleine Tochter noch stille. Aber ich bin einfach richtig fertig und vier Tage wird es wohl gehen. In den folgenden Tagen geht es mir erheblich besser. Ich sinniere mit mir selbst über die psychosomatischen Ursachen von Heuschnupfen und frage mich, ob und wann der vielleicht wieder geht.
Die Sache mit dem Internet habe ich schonmal erwähnt. Ich mag die Lösung mit den LAN-Kabeln sehr, weil es einerseits einen relativ entspannten Weg in die digitale Welt erlaubt. Die Hürde, das Kabel anstecken zu müssen, ist andererseits hoch genug, um nicht ständig und überall am Handy zu hängen.
Ich bin deutlich weniger am Handy, entscheide das auch ganz bewusst immer wieder und genieße es sehr. Was würde ich jetzt tun, wenn ich kein Handy hätte? Na, vielleicht einfach fünf Minuten lang die schlafenden Kinder betrachten und dabei ganz arg gerührt sein. Oder diesen Text hier schreiben. Für mich ist der Verzicht – das ist auch zu Hause so – aber sehr viel einfacher als für den Bärtigen. Und es war nur eine knappe Woche und Urlaub, im Alltag sieht das sicher nochmal ganz anders aus.
Zu Hause ist es so, dass wir das Thema der Mahlzeiten sehr klassisch verteilt haben. Ich schreibe den Einkaufszettel, der Bärtige geht einkaufen, ich koche. Das bedeutet aber auch, dass die Qualität unserer Ernährung zu großen Teilen auf meinen Schultern liegt – und davon abhängig ist, wie gesund, ausgeschlafen und leistungsfähig ich bin. Wenn ich krank, übermüdet oder auch einfach erschöpft bin, gibt es hier ein paar Tage Nudeln mit Tomatensoße. Das schadet kurzfristig nicht, macht aber trotzdem latenten Druck. Ich merke hier in Sieben Linden wie sehr ich es genieße, dass es vollkommen egal ist wie es mir gerade geht und alle Familienmitglieder trotzdem sehr leckere und gesunde Dinge auf dem Teller haben. Ich habe das Gefühl, dass mir das hier erstmal so richtig bewusst wird, wie viel Last ich da zu Hause eigentlich trage, vor allem in Bezug auf die Ernährung der Kinder.
Und was ich in Bezug aufs Essen hier auch richtig toll finde – hier kommt nichts weg. Wenn es gestern Nudeln gab, gibt es heute Nudelsalat. Und wenn es heute Kichererbsen gibt, dann kann man morgen mit selbst gemachtem Hummus rechnen.
Was ich in diesen Tagen bei den Spaziergängen durchs Dorf immer wieder denke: Das hier ist ein wirklich schöner Ort. Es fühlt sich einfach vieles organisch an, das Außengelände, die Häuser dazu. Alles ist mit Liebe und Bedacht angelegt und – zumindest bei den Außenflächen – dann mit Liebe zum großen Teil der Natur überlassen. Und dennoch ist es bei diesem riesigen Gelände sicher eine Menge Arbeit, dass es so unangestrengt hübsch aussieht. Wenn die Juniabendsonne ihre langen Strahlen schickt, entstehen immer wieder richtig schöne Bilder. Wenn das hohe Gras angestrahlt wird oder die Libellen über dem Teich. Das hat auch etwas Geborgenes.
Insgesamt ist die Woche mit den beiden Kindern für uns natürlich anstrengender, als es zu Hause gewesen wäre. Vor allem das Richten nach einem vorgegebenen Zeitplan und der relativ wenig vertraute Rückzugsraum drinnen. Unsere Routinen, Abläufe und vertrauten Räume machen unser Leben zu Hause entspannter. Auch schön, diese Qualität mal wieder so ganz bewusst zu haben. Ich bin einfach stolz auf uns, dass wir es gemacht haben. Dass wir den Mut hatten, es einfach zu probieren. Und wir werden mit vielen Erkenntnissen, Erlebnissen und Begegnungen belohnt.
Wollen wir in Sieben Linden leben?
Schon in den ersten Tagen beschäftigen uns die Gedanken und Gefühle rund um den Zuzugsprozess, das Leben hier und grundsätzlich die Frage „Gehören wir hier her?“.
Wir stehen im Moment an einem Punkt, an dem wir insbesondere wohnlich wissen, dass das, wie wir leben, nicht das ist, was wir für immer wollen. Und schon einige Jahre beschäftigen wir uns mit der Frage „wie eigentlich dann“?
Sieben Linden hat einen starken Fokus auf Ökologie und Nachhaltigkeit – es ist wichtig, den einzigen Planeten den wir haben, für unsere Kinder bewohnbar zu halten. Und hier ist es einfach, nachhaltig(er) zu leben, weil alle an einem Strang ziehen und man mit dem Strom schwimmen kann. In der Stadt sind wir oft Exoten mit unserer Art, die Dinge zu sehen. Der Fokus auf Nachhaltigkeit kommt in diesem Artikel fast ein wenig zu kurz – vielleicht, weil es für uns so selbstverständlich ist.
Alle Wohn-Optionen, die wir in den vergangenen vier Jahren in Erwägung gezogen haben, hatten eines gemeinsam: irgendeine Art von Gemeinschaft. Wir wollten mal ein sehr teures Haus nahe Hannover kaufen, was zu einer Gemeinschaft von 12 Häusern gehört – mitsamt Gemeinschaftshaus, gemeinsamer Heizung und regelmäßigen Treffen. Es wurde damals (heute können wir sagen „zum Glück“) nichts, weil das Haus in den Bekanntenkreis der Eigentümer verkauft wurde.
Das nächste Projekt war das Ecovillage, ein riesiges Gemeinschaftsprojekt in Hannover, was mittlerweile leider an der Finanzierung gescheitert ist. Hier waren wir fast ein Jahr lang sehr intensiv involviert.
Und selbst unsere jüngste Option – ein altes Fachwerkhaus in einem 160-Seelen-Dorf war für uns vor allem attraktiv, weil es ein Sackgassendorf ist mit vielen Kindern, vielen Yogis und Ökos und wenig Autos. Nach dreimal dort sein kannten wir gefühlt alle Nachbarn. Diese Idee scheiterte – 2 Tage vor Abfahrt nach Sieben Linden – an einem ziemlich vernichtenden Gutachten eines Fachwerk-Experten. Vielleicht sollte das so sein? Beim zweiten Lesen fällt mir noch eine Gemeinsamkeit auf: alle genannten Optionen waren Holzhäuser – so wie in Sieben Linden.
Es sind Fragen über Fragen, dabei haben wir vor Ort gar nicht viel Zeit zum Austausch untereinander. Schaffen wir das? Oder schafft die Gemeinschaft uns? Wie lebt es sich hier, wenn die erste Euphorie des Ankommens verflogen ist? Kriegen wir hier ein drittes Kind? Oder wird die Gemeinschaft das dritte Kind? Wie verändert sich das Leben hier und wie verändern wir uns hier? Das Umfeld würde sich verändern, aber uns und unsere Themen nehmen wir immer mit – geht es uns damit gut hier? Und haben wir genug zu geben?
Unsere Beziehung zu uns selbst, unsere Paarbeziehung, das Elternsein und dann auch noch Beziehung zur Gemeinschaft – nährt uns das oder überfordert uns das? Oder wohl eher – was in welchem Maß?
Als ich diese Gedanken aufschreibe ist gerade Tag 2. Wir dürfen uns wohl etwas entspannen, müssen nicht alles jetzt herausfinden. Dafür gibt es ja – wenn wir das hier wirklich wollen – den Annäherungsprozess. Die Fragen sind – wahrscheinlich – ungefähr die richtigen, aber die Antworten dürfen sich Zeit lassen. Viel Zeit. Und vielleicht können wir auch nicht alles vorher herausfinden, einiges wird sich erst zeigen, wenn wir einen solchen Schritt mal gegangen sind.
Was wir hier fühlen ist weniger eine große Euphorie, eher eine unaufgeregte, aber steig wachsende Zuneigung zu diesem Ort. Ein Gefühl von Verbundenheit und seltsamer Vertrautheit, obwohl wir das erste Mal da sind. Und natürlich auch etwas leise Aufregendes, wenn so ein möglicher neuer Lebensabschnitt die allerersten Sonnenstrahlen in unser jetziges Leben schickt.
Diese Form der eher unaufgeregten, aber tiefen Verbundenheit ist etwas, was mich sehr an die Anfänge zwischen meinem Mann und mir erinnert. Irgendein kluger Mensch hat mal ungefähr sowas gesagt: Herzens-Themen kann man daran erkennen, dass sie nicht dringend sind. Herzens-Themen sind wichtig, kraftvoll, ruhig und beständig. Ego-Themen sind dringend.
Ich hatte das Gefühl oder vielleicht auch die Erwartung, dass es in dieser Woche in Sieben Linden irgendein Zeichen des Universums geben würde, was uns sagt, wie es für uns weitergehen soll. So einen richtigen Moment des „Jetzt ist alles klar“ gab es nicht. Dafür jemanden der seit mehr als 20 Jahren in diesem Ökodorf lebt und uns sagt, dass er sich das mit uns so richtig gut vorstellen kann. Und einen 4jähren, der – wieder zu Hause – beim Abendessen verkündet, dass er auf jeden Fall in Sieben Linden wohnen will. Ob er uns mitnimmt?
Wie geht es weiter mit uns und Sieben Linden?
Als wir Sieben Linden verlassen gibt es darauf für uns keine klare Antwort. Eher in den Tagen danach merken wir, dass unser „Ja“ dazu, Sieben Linden näher kennenzulernen größer wird. Viel größer.
Als der Bärtige im Treppenhaus unseren Nachbarn von unserer Zeit in Sieben Linden erzählt, bekommt er gespiegelt, wie begeistert er wirkt. Wir sind bereit, den Hauskauf ad acta zu legen. Und eine weitere spannende Erkenntnis: den Weg nach Sieben Linden weiter zu gehen fühlt sich das erste Mal nicht nach Kompromiss an. Bisher war immer einer von uns mehr Feuer und Flamme für eine Idee, der andere war bereit mitzugehen. Den Weg nach Sieben Linden suchen wir gerade gleichermaßen.
Und gleichzeitig merke ich natürlich auch eine Angst davor, abgelehnt zu werden. In diesem Annäherungsprozess mache ich mich so sichtbar, verletzlich und angreifbar. Und das in vollem Bewusstsein, dass ich oder wir tatsächlich abgelehnt werden können, wenn es zu viele Menschen in der Gemeinschaft gibt, die uns nicht mögen oder etwas an uns komisch finden. Das heißt nicht, dass diese Angst uns aufhalten sollte, aber sie bewusst wahrzunehmen kann vielleicht helfen, ihr einen guten Platz zu geben.
Etwas Spannendes ergab sich genau eine Woche nachdem wir zurück waren: Der Bärtige bringt unseren Sohn in den Kindergarten, hat die Kleine dabei und lässt sich Zeit, damit ich zu Hause etwas Ruhe habe. Kurz bevor er gehen will spricht eine andere Mama ihn an, dass wir ja in Sieben Linden waren. Unsere Kinder haben offenbar darüber gesprochen. Wir erfahren, dass ihr Onkel viele Jahre in Sieben Linden wohnte und vergangenes Jahr dort verstorben ist. Wir wussten auch direkt, wer gemeint ist, weil wir in Sieben Linden von diesem Menschen gehört hatten. Sie sind ungefähr einmal im Jahr dort zu Besuch. Verrückt, da geht unser Kind also mit „Sieben Linden Verwandtschaft“ in den Kindergarten.
Es war der drittletzte Tag, an dem wir diese Verbindung überhaupt hätten entdecken können, da das betroffene Kind ein „Vorschuli“ ist und nun in die Schule wechselt. Unnötig zu erwähnen, dass für diesen Tag auch „Sieben Linden intensiv buchen“ in unserer To Do App steht. Ok, Universum, wir haben verstanden. Machen wir.
„Sieben Linden intensiv“ ist im Winter – das bedeutet, dass wir nicht bis abends um acht am Löschteich im Sand buddeln können, wenn der Große doch mal Mittagsschlaf gemacht hat. Es wird wahrscheinlich noch viel mehr Programm geben, was auch emotional anstrengender sein könnte. Wir haben mal wieder einen gesunden Respekt. Dafür kennen wir schon viel, wissen ein bisschen mehr was auf uns zukommt, wie die Gegebenheiten vor Ort sind und dass unser Großer mit der Kinderbetreuerin eine weitere Bezugsperson vor Ort hat, auf die er sich gut einlassen kann.
Wenn wir nach Sieben Linden gehören, dann wird es einen guten Weg für uns dorthin geben und wir sind gespannt, diesen Weg zu entdecken – wo auch immer er hinführen mag.
Was denkst du über all das, was du eben über Sieben Linden und über uns gelesen hast? Überlegst du selbst in Gemeinschaft zu ziehen oder lebst schon dort? Oder bist du vor allem neugierig? Ich bin sehr gespannt auf deine Meinung, entweder in den Kommentaren oder an luise at zeitgeistich punkt de!
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