Nach einigen Seminarbesuchen im ZEGG, dem Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung in Bad Belzig, wollte ich gerne mal etwas mehr Zeit dort verbringen. Seminare sind meistens nur von Freitag bis Sonntag, was nicht wirklich ausreicht, um das ZEGG, das Gelände, die Atmosphäre und die Menschen dort wirklich kennenzulernen. In diesem Sommer 2018 war es dann nun soweit. Wir haben uns fürs 11tägige ZEGG Sommercamp entschieden 🙂
Anbei findest du – völlig unsortiert, subjektiv und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ein paar Gedanken und Erfahrungen zu den Tagen die wir dort im Juli und August verbracht haben. Dabei geht es sowohl um praktische Dinge als auch ein bisschen um meine Prozesse, die ich mit mir hatte. Vielleicht motiviert der Artikel dich, das ZEGG und seine Festivals auch mal zu besuchen oder vielleicht weißt du so vorher schon, dass es (noch) nichts für dich ist.
Ich habe es tatsächlich fertig gebracht, in der ganzen Zeit nicht ein einziges Foto zu machen. Auf der Facebook-Seite des ZEGG findest du aber einige Bilder vom Sommercamp (von da kommt auch das Titelbild zu diesem Artikel).
Was passiert im ZEGG Sommercamp? Was ist anders, als bei „normalen“ Seminaren dort?
Das Sommercamp hat jedes Jahr ein Leitthema, unter dem es steht. 2018 war das „Vom Ego zum Mitgefühl“. Viele Veranstaltungen, Vorträge, Workshops & Co. greifen dieses Thema dann wieder auf.
Auf Seminaren sind meisten 25 bis 30 Teilnehmer. Beim Sommercamp waren es über 300. Es ist also mehr ein Festival als ein Seminar. Außerdem gibt es zwar ständig Angebote, zu denen man hingehen kann, es ist aber alles freiwillig und man kann sich jederzeit zurückziehen. Ehrlicherweise war es für mich auch gar nicht möglich, an allen Veranstaltungen teilzunehmen. Das wäre mir viel zu viel geworden. Bei den Seminaren ist es schon eher so, dass die Teilnehmer die ganze Zeit dabei sind. Natürlich kann man auch da jederzeit eine Übung auslassen oder sich zurückziehen wenn es notwendig ist, allerdings ist das schon eher die Ausnahme.
Im Sommercamp gibt es außerdem eine ganz bunte Sammlung von Vortragenden, Gruppenleitern, Menschen die Workshops veranstalten und ähnliches. Es ist also eine gute Möglichkeit, die Arbeit und die Ansätze verschiedener Menschen im ZEGG sowie von Außerhalb kennenzulernen. Seminare haben hingegen meist feste Gruppenleiter, die die ganze Zeit dabei sind.
300 Menschen klingt erstmal sehr viel – und ist es auch. Da das Gelände des ZEGG aber riesig groß ist, verläuft sich das gut. Wer einen stillen Platz braucht, findet auch einen. Im Wald, in einer Hängematte, im Zelt oder auch einfach abends in der Dunkelheit. Neben dem Gefühl von „zu viele Menschen“ gab es bei mir auch oft ein Gefühl von „zu wenig Verbindung“. Es fiel mir dann schwer, mich nicht verloren zu fühlen. Aber auch das waren nur Phasen. Beim herumlaufen auf dem Gelände habe ich immer wieder Menschen getroffen, zu denen ich schon eine engere Verbindung hatte und kam so auch schnell wieder in die Gruppe. Und spannend, wie auch das ein für mich durchaus bekanntes Gefühl ist, sich unter wahnsinnig vielen Menschen sehr alleine zu fühlen.
Vorbereitung und Anreise
In der Vorbereitung kann man sich zum Einen entscheiden, ob man mit helfen möchte oder nicht. Die Helfer arbeiten vier Stunden am Tag mit, beispielsweise in der Küche oder im Putzteam. Dafür kostet der Aufenthalt nur die Hälfte – ein durchaus gutes Argument. Es wird allerdings empfohlen, beim ersten Aufenthalt nicht gleich als Helfer zu arbeiten, sondern erstmal das Camp ganz frei von Verpflichtungen zu genießen. Dafür haben wir uns auch entschieden.
Zudem gab es in diesem Jahr die Möglichkeit, zwischen Kurz- und Langcamp zu wählen. Der Anreisetag war der gleiche, die Kurzcamper sind aber nach 5 Tagen abgereist. Die Langcamper hatten dann noch eine volle Woche mehr. Grundsätzlich würde ich – je nachdem wie viel der Kalender hergibt – immer das Langcamp wählen. Wer aber erstmal schnuppern möchte, dem ist natürlich auch mit dem Kurzcamp geholfen. Eine Verlängerung ist auch vor Ort noch möglich. Ein Freund von uns hat das Kurzcamp plus 2 einzelne Tage gemacht (was auch geht), das erschien mir im Nachgang ein guter Kompromiss zu sein.
Die andere wichtige Entscheidung ist die Form der Unterkunft, dazu gleich mehr.
Was sollte man zum ZEGG Sommercamp mitnehmen?
Je nach Unterkunft erklären sich die Dinge, die mitzunehmen sind, fast von selbst. Hilfreich ist es, genügend Bargeld mitzunehmen, falls man abends in der „Dorfkneipe“ noch eine Limo oder ein Bier trinken möchte. Der selbst gebackene Kuchen ist auch überaus lecker. Es ist schön, wenn man in den 11 Tagen das Gelände nicht verlassen muss. Nach Bad Belzig in die Innenstadt, wo es den nächsten Geldautomaten gibt, ist es schon eine halbe Stunde Fußmarsch. Handtücher, Dinge des persönlichen Bedarfs, wenn man zeltet eine Wäscheleine und genügend Heringe sowie Schuhe, die man schnell an- und wieder ausziehen kann sind sehr hilfreich. Die meiste Zeit bin ich barfuß unterwegs gewesen, wenn ich aber mal schnell zum Auto oder zügig zu den sanitären Anlagen wollte waren Schuhe schön, weil ich dann nicht ganz so auf den Untergrund achten musste.
Eine nachfüllbare Wasserflasche oder Isoflasche für Wasser oder Tee ist praktisch. Außerdem hatte ich immer einen Stoffbeutel dabei, um mein bisschen Krempel unterzubringen wenn ich auf dem Gelände unterwegs war.
Etwas zu schreiben kann sinnvoll sein, wenn man Buchempfehlungen von anderen Teilnehmern, Telefonnummern, eigene Gedanken und dergleichen notieren will. Mein Handy hatte ich zwar dabei, habe es aber tagsüber nie mit mir herumgetragen. Es gibt für Wertgegenstände eine Möglichkeit, diese wegzuschließen, allerdings habe ich mir auch keinen Kopf gemacht, die Dinge einfach im Zelt zu lassen. Hat geklappt 🙂
Schön ist, wenn man vor dem Camp schon ein oder zwei Tage zum runterfahren hat und nicht mit dem vollen Alltagsstress ankommt. Das gilt aber eigentlich für jeden Aufenthalt im ZEGG. Noch wichtiger ist für mich aber, sich hinterher noch ein paar Tage zum „ausatmen“ und wieder ankommen zu genehmigen.
Preis, Verpflegung und Übernachtung
Mit knapp 800€ für Erwachsene sind die 11 Tage Langcamp kein Schnäppchen. Wenn man aber auf das Programm schaut und sieht, wie viele Menschen daran beteiligt sind ist es dann schon wieder sehr ok. Dazu kommt, dass es jeden Tag drei Mahlzeiten gibt, die allesamt biologisch (zum großen Teil sogar aus eigenem Anbau) sind und mindestens vegetarisch, fast immer gibt es auch eine vegane Alternative. Auch glutenfreie Ernährung & Co. sind kein Problem.
Die zweite Entscheidung neben dem Helfen ist, wie man übernachten möchte. Man kann in Gruppenschlafräumen, einem eigenen Zelt, im Wohnmobil oder in bereitstehenden Gruppenzelten ohne Aufschlag übernachten. Bei den Gruppenschlafräumen erwischt man mit ein bisschen Glück eines der 5er-Zimmer. Wenn die voll belegt sind (was zum Sommercamp immer der Fall sein dürfte) gibt es noch einen Dachstock, wo Matratzen und Bettwäsche bereitgelegt werden.
Darüber hinaus gibt es einige wenige Einzel- und Doppelzimmer, dafür muss man aber recht zeitig buchen. Zum duschen gibt es in Zeltplatznähe Außenduschen. Alternativ auch die jeweiligen Männer- und Frauenbäder in der gerade frisch renovierten „Uni“, einem der Herzstücke des Geländes.
Es gibt auch die Möglichkeit, auswärts zu übernachten und im ZEGG mit zu essen, dann wird es etwas günstiger. In Bad Belzig gibt es aber nicht so viele Unterkünfte und ich habe es schon sehr genossen, insbesondere abends das Gelände nicht verlassen zu müssen. Wenn es irgendwie anders geht, wäre das für mich also keine Option.
Gegessen wird – sortiert nach Unterbringung – in der Campusküche neben dem Großzelt (Freiluft) oder im Restaurant im Gästehaus.
Neben den festen Mahlzeiten gibt es wie gesagt in der Dorfkneipe nachmittags oft noch sehr leckeren Kuchen. Auf dem gesamten Gelände gibt es Möglichkeiten zum Wasser nachfüllen , eine Flasche sollte man also unbedingt mitnehmen. Auch Tee, heißes Wasser & Co. steht im Gästehaus rund um die Uhr zur Verfügung.
Tagesablauf
Der Tagesablauf bei diesem Sommercamp (und soweit ich erfahren konnte in etwa auch beim letzten Sommercamp) beginnt jeden Morgen um 07:30 Uhr mit Morgenangeboten. Von Yoga über verschiedenen Meditationsformen bis zu Mantra-Singen ist für jeden was dabei. Außer für die, die gern länger schlafen… so wie uns :). Aber auch dann ist es schön, von den Sängern sanft geweckt zu werden. Wie alles andere auch sind diese Angebote natürlich optional, man muss nirgendwo teilnehmen wenn man nicht möchte.
Vormittag
Gegen 8 Uhr gibt es Frühstück. Gutes Brot, selbst gemachte Aufstriche, Hirse, ein bisschen Gemüse zum Knabbern und das unter freiem Himmel… so darf der Tag gerne starten. Und nichts davon muss man selbst vorbereiten, was für ein Traum! Die Stimmung morgens war für mich eine ganz besondere. Die Nachteulen hatten noch Zeit im neuen Tag anzukommen, alle waren in froher Erwartung, was der Tag wohl bringt. Die ersten Umarmungen und liebevollen Begrüßungen des Tages, und erste schöne und entspannte Wortwechsel. Gemeinsames wach werden könnte man sagen.
Um 10 Uhr gab es morgens immer eine Veranstaltung im Großzelt. Das ist das Hauptzelt und der einzige „Raum“, in den alle Teilnehmer rein passten. Meistens waren es morgens Vorträge zum Thema des Sommercamps „Vom Ego zum Mitgefühl“. Die Vorträge waren insbesondere zu Beginn des Sommercamps sehr spannend für mich. Autoren, Menschen aus anderen Gemeinschaften oder auch ZEGG-Bewohner, die für ein bestimmtes Thema stehen haben ihre Gedanken und Erfahrungen geteilt. Je länger das Camp fortschritt, desto schwerer fiel mir das morgendliche Zuhören, weil mein Kopf eigentlich schon so voll war und gar nicht alles auf einmal verarbeiten konnte, was hier so passierte. Aber auch dann gibt es ja die Freiheit, die Vorträge auch mal zu verschlafen 🙂
Dann war schon bald wieder Mittagessenzeit. Das Küchenteam bringt immer wieder wahre Wunder zustande. Zum einen mit den Mengen an gutem und gesundem Essen, die sie auf die Beine stellen und zum anderen schaffen sie es, manchmal ungeliebte gesunde Gemüse so zuzubereiten, dass selbst ich mir Nachschlag geholt habe. Wie immer im ZEGG ist mein Heißhunger auf Süßkram relativ schnell verschwunden. Ich vermute weil ich auf so vielen anderen Ebenen gut genährt bin, dass die Ersatzdroge Zucker einfach nicht mehr nötig ist.
Nachmittag
Am Nachmittag gab es dann etwas freie Zeit und auch immer wieder einzelne Angebote zu verschiedenen Themen. Der „Lauschraum“ von Susanne und Roger beispielsweise. Dort entsteht ein Raum, in dem Menschen über ihre brennenden Fragen in Bezug auf Liebe, Sexualität und Partnerschaft (oder was sonst gerade dran ist) sprechen können oder ihre Erfahrungen teilen können. Zu den anderen Veranstaltungen kann ich nicht so viel sagen, da ich nicht da war :D. Die Berichte anderer Teilnehmer waren aber fast durchweg positiv. Natürlich kann jeder Mensch der einen Veranstaltung mehr abgewinnen als der anderen, aber genau dafür ist das ZEGG Sommercamp ja da.
Von 16 bis 18 Uhr war an den meisten Tagen die sogenannte Gruppenzeit. Bei der Anmeldung haben sich alle Teilnehmer – je nachdem ob Kurz- oder Langcamp – einer thematischen Gruppe angeschlossen. Der Sinn dieser Gruppen ist meinem Verständnis nach, zum einen Anschluss zu bieten aber auch eine Raum, in dem man seine Erfahrungen verarbeiten kann und Kontakt zu anderen Teilnehmern bekommt. Insbesondere bei Sommercampern, die alleine da sind – und davon gibt es einige – kann ich mir vorstellen, dass man sich schnell mal verliert bei den etwa 350 Menschen zu Beginn. Dann ist es schön, etwas zu haben, wo man hingehen kann und gehört wird. Jeder Gruppe gehören 20 bis 30 Menschen an, da verliert man sich schon nicht mehr so schnell.
In meiner Gruppe (mein Partner und ich haben uns bewusst für unterschiedliche Gruppen entschieden) ging es viel um gewaltfreie Kommunikation, Gefühlearbeit und Forum. Forum ist eine Methode der Kommunikation in Gruppen, die im ZEGG erfunden wurde und in der es im Kern darum geht, sich in einer Gruppe mit einem Thema ganz unverstellt zu zeigen und es dadurch auch der Gruppe zur Verfügung zu stellen.
Eine genauere Ausführung würde jetzt den Rahmen dieses Artikels sprengen, wenn es dich interessiert findest du hier mehr dazu (inklusive eines kurzen Films): https://www.zegg-forum.org/de/.
Abends
Nach der Gruppenzeit war es schon wieder nur noch eine halbe Stunde bis zum Abendessen. Auch das haben wir wie alle anderen Mahlzeiten an der frischen Luft essen können 🙂 Nach dem Abendessen gab es manchmal noch Konzerte im Großzelt oder im Kunstcafe, einer kleinen Bühne am Rand des Geländes. Für mich war jeder Abend sehr unterschiedlich. Manchmal bin ich zeitig schlafen gegangen, manchmal habe ich die Abendstunden auf dem Dorfplatz oder bei den Konzerten verbracht. Manchmal saßen wir auch noch in einer kleineren Gruppe vor dem Großzelt und haben uns unterhalten. Je nachdem was gerade dran war.
… und überhaupt 🙂
Das ZEGG Sommercamp ist wie wahrscheinlich jede Veranstaltung an diesem Ort auch eine Zeit, in der Menschen an ihre persönlichen Grenzen kommen können. Dafür hat das ZEGG „vorgesorgt“ und ein sogenannten Awareness-Team eingerichtet. Dort sind – zu bestimmten Tageszeiten – Menschen ansprechbar, die emotionale oder auch praktische erste Hilfe leisten können. Ich finde es schön, dass an sowas gedacht wird und das ZEGG als Veranstalter alles tut, um Menschen einen möglichst sicheren Platz für die eigene Entwicklung zu bieten.
Was auch sehr schön ist, ist der Frauen- und der Männerplatz. Mittlerweile gibt es auch einen Menschenplatz, für alle, die sich keinem der beiden Geschlechter eindeutig zugehörig fühlen. Dort kann man Ruhe finden und einfach „unter sich“ sein. Natürlich gibt es auf so einem Festival auch viele Begegnungen zwischen Männern und Frauen auf verschiedenen Ebenen. Und wie die meisten wahrscheinlich selbst schon erlebt haben, sind die nicht immer nur einfach und entspannend. Da ist es schön, sich in solch einen geschützten Raum zurückziehen zu können.
ZEGG Sommercamp mit Kindern
Für Eltern, die mit Kindern anreisen gibt es das Angebot des Kindercamp. Da uns das nicht betrifft, habe ich mich damit allerdings recht wenig auseinandergesetzt.
Grundsätzlich war mein Gefühl, dass es mit Kindern, die schon sehr selbstständig sind und gut in Kontakt mit anderen Kindern kommen gar kein Problem ist, zum ZEGG Sommercamp zu fahren. Bei Kindern, die viel Anschluss brauchen kann das anders sein – das müssen aber alle Eltern für sich entscheiden und im Zweifel vielleicht einfach mal ausprobieren. Die Betreuungszeiten sind recht kurz gehalten (ich glaube 10-12 Uhr vormittags und 15 bis 18 Uhr nachmittags oder sowas), was gerade bei Elternteilen, die alleine mit ihren Kindern da waren durchaus mal zu Stress geführt hat. Insbesondere, weil auch diese Eltern Spüldienste absolvieren mussten. Das macht jeder 2-3 Mal während der Zeit, macht aber Spaß und dauert nur ca. 1 Stunde. Da würde ich mir wünschen, dass insbesondere Eltern die alleine da sind davon ausgenommen werden. Die haben schließlich sowieso schon mehr zu tun als andere Teilnehmer. Mal schauen, ob es da im nächsten Jahr andere Lösungen gibt.
Die ersten Tage – Kurzcamp
Wir haben oft über Gespräche, Vorträge oder sonst Vorkommnisse gesprochen, bei denen wir das Gefühl hatten, sie müssen mindestens zwei Tage her sein. Tatsächlich waren sie erst wenige Stunden alt. Die Zeit war so intensiv, so lebendig, so vollgepackt dass ich nach wenigen Tagen das Gefühl hatte, schon mindestens drei Wochen da zu sein.
Diese ersten Tage waren auch die härtesten für mich. Prozesse rund um „Ich gehöre nicht dazu und alle anderen sind immer cooler als ich“ sowie Verlustängste in meiner Beziehung. Wut auf einen mitgereisten Freund, der sich fast nie blicken lies, aber es schaffte trotzdem fast dauerhaft Thema zu sein und in uns Prozesse auszulösen. Und um den wir uns paradoxerweise auch noch sorgten und uns irgendwie verantwortlich fühlten. Abgrenzung war also auch ein Thema. Und letztendlich sind das meist die Dinge, die nach dem „hindurchgehen“ den größten Effekt haben.
Ich begann darüber nachzudenken, warum ich im ZEGG solche Prozesse mache, die es in der Intensität und Kompaktheit außerhalb selten gibt.
Ich glaube, zum einen ist es die Offenheit, die auch während der Gruppenzeiten praktiziert wird. Themen kommen einfach schneller an die Oberfläche und werden nicht totgeschwiegen, weil einfach Zeit, Raum und Energie dafür da ist. Und wenn sie dann mal da sind würden sie an einem anderen Ort möglicherweise in einem großen Streit enden. Im ZEGG bin ich es so gewöhnt, sie durch die Entwicklungs-Brille zu sehen und als Wachstums-Chance anzunehmen, dass das nicht passiert. Für mich fungiert das ZEGG oft als „Durchlauferhitzer“. Es gibt Themen, die ich schon seit Wochen und Monaten mehr oder weniger bewusst mit mir herumtrage und die sich dann hier Bahn brechen, angeguckt werden wollen und sich auch wieder – neu sortiert – beruhigen. Und sicher ist es auch diese wiederkehrende Erfahrung von so vielen Menschen, die dazu beiträgt, dass die Energie im ZEGG einfach sehr unterstützend ist für solche Prozesse.
Der zweite Teil – das verbleibende Langcamp
Nach Abreise der Kurzcamper wurde es plötzlich recht still. Alles fing an, sich mehr wie Alltag anzufühlen und war weniger bunt und schnell. Ich fing an, Menschen zu bemerken, die mir in den ersten Tagen nicht aufgefallen waren. Und ich bekam öfter das Gefühl, dass es Menschen gibt die das ZEGG Sommercamp aus einer ganz anderen Brille sehen. Die mit ganz anderen Menschen zu tun haben, völlig andere Themen haben und einen solchen Bericht wie diesen hier wahrscheinlich völlig anders schreiben würden. Ein bisschen wie parallele Leben, mit denen man gar nichts zu tun hat.
Zum Kurzcamp-Ende waren auch einige Menschen abgereist, die mir in der kurzen Zeit wichtig geworden waren. Es gab auch ein kleines Gefühl von „verlassen werden“, wenn alle gehen und man selbst zurück bleibt.
Einige Tage nach der Abreise des Kurzcamps kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass es jetzt auch in Ordnung wäre, selbst nach Hause zu fahren. Nicht, dass ich unbedingt weg wollte, ganz im Gegenteil. Es stellte sich nur das Gefühl ein, dass für den Moment alles hier in Ordnung und erledigt ist. An den folgenden Tagen rannte die Zeit wahnsinnig. Ständig saßen wir schon wieder beim Frühstück. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass wir doch vor wenigen Stunden erst das letzte Mal gefrühstückt hatten. Und dann war es plötzlich immer gleich 18 Uhr und es gab schon wieder Abendessen. Das ganze Gegenteil also im Vergleich zu den ersten Tagen.
Ich begann auch zunehmend, nicht mehr zu Veranstaltungen und Vorträgen zu gehen, sondern einfach die Ruhe dieses Ortes zu genießen. Ein bisschen hatte ich mit körperlichem Unwohlsein zu tun, auch ein Grund für Rückzug. Irgendwie hatte das Sommercamp die hohe Energie vom Anfang verloren, was aber wahrscheinlich ganz normal ist.
Abreise und Gedanken in den Tagen danach
Als der Tag der Abreise gekommen war, gab es wie immer hier viele liebe Verabschiedungen. Daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt, die Menschen nicht mit dem Gedanken zu verabschieden, sie nie wiederzusehen, sondern auf ein „bis zum nächsten Mal“. Diese Verbindungen, die hier entstanden sind, bleiben uns erhalten. Die gemeinsamen Erfahrungen kann uns keiner mehr nehmen. Weil es aber so viele waren, vergesse ich auch oft Menschen die sehr kurz sehr wichtig waren, weil im ZEGG eben auch immer wieder neue dazukommen. Das habe ich mittlerweile gelernt und tue mich mit den einzelnen Abschieden nicht mehr so schwer, da es auch jedes Mal wieder neue Begrüßungen gibt – und ja tatsächlich auch viele Menschen recht regelmäßig ins ZEGG fahren. So haben wir allmählich unsere Sachen zusammengepackt und wollten uns auf die Heimreise machen.
Ungefähr 3 Minuten nachdem wir losgefahren sind hat unser Bulli gesagt, dass es ihm nicht gut geht und wir doch bitte seinen Motor ausschalten… na toll. Mit ADAC und allem drum und dran waren wir bis abends beschäftigt und haben dann entschieden, noch eine Nacht länger im ZEGG zu bleiben. Das Auto wurde am nächsten Morgen vor Ort repariert und wir konnten uns im „Lieben was ist“ üben. Das war eine ganz spannende Erfahrung, diesen Ort nun so menschenleer zu erleben. Am nächsten Vormittag konnten wir sogar in eine der Hängematten, was die ganzen Tage kaum möglich war weil sie immer schnell belegt waren. Gegen 14 Uhr kam der Anruf, dass unser Autolein nun wieder fahrbereit ist und wir machten uns – diesmal erfolgreich – auf den Heimweg. Unterm Strich hat das den Abschied vom Sommercamp sehr viel allmählicher gemacht und sich sehr stimmig angefühlt, auch wenn es im ersten Moment stressig war.
Im Nachhinein ist mir eine Sache noch sehr deutlich aufgefallen: Was die Abwesenheit von Werbung mir für eine Ruhe beschert. Wir waren nur im Wald, auf der Wiese, im Großzelt, unter Menschen oder mal in den ZEGG-Gebäuden unterwegs. Und nirgendwo will einem irgendjemand etwas krampfhaft verkaufen. Kein Plakat auf dem Klo, keine Bierdeckeluntersetzer mit PayPal-Werbung, keine bunt gepflasterten Straßenzüge, keine TV-Spots. Spannend, wie selbstverständlich die ständige Präsenz von Werbung in unserem Alltag geworden ist.
Ich habe außerdem mal wieder realisiert, wie selten ich in meinem „bürgerlichen“ Alltag Menschen wirklich in die Augen schaue. Jemand wirklich anzusehen, sich Zeit zu nehmen, wahrzunehmen und in Kontakt zu kommen – es ist erschreckend, wie selten das eigentlich passiert. Und schön zu merken, dass ich es zumindest ein bisschen mitnehmen kann in meinen Alltag, wenn ich mir Mühe gebe.
Eine weitere Erfahrung war (mal wieder) Tiefenentspannung, raus aus dem ständigen getrieben sein und öfter mal schauen, was jetzt gerade dran ist. Natürlich ist es ein Luxus, wenn man das von Zeit zu Zeit mal kann. Schade, dass es in unserer heutigen Welt ein Luxus sein muss. Ganz bewusst zu entscheiden, worauf ich genau jetzt Lust habe oder was ich jetzt erledigen möchte ist für mich eine ganz große Freiheit und übt mich in Selbstverantwortung.
Das ZEGG Sommercamp und die Begegnung zwischen Mann und Frau
Das ZEGG ist ja vor allem auch bekannt als Forschungsort in Liebe, Partnerschaft und Sexualität. Und so leicht und einfach Begegnungen auf emotionaler Ebene hier sind, so omnipräsent sind auch körperliche Begegnungen. Es freut mich, dass es einen Ort gibt, an dem Menschen sich ausprobieren und ausleben können, ohne ganz direkt den gesellschaftlichen Konventionen zu unterliegen. Es ist schön, mit welcher Offenheit, Achtsamkeit und positiver Einstellung die meisten Besucher allen Formen von Begegnungen und gegenüberstehen. Und wo viel Licht ist, entsteht zwangsläufig auch immer Schatten.
In unserer Gesellschaft gibt es im Moment wohl unbestritten eine deutliche Übermacht männlicher Energie. Damit meine ich gar nicht nur die Übermacht der Männer selbst, sondern vor allem auch der männlichen Werte wie Fokus, Analytik oder eine Neigung zum Wettbewerb und „Kräfte messen“, denen mittlerweile auch viele Frauen folgen. Im ZEGG wird ganz bewusst zu Achtsamkeit insbesondere in der Begegnung zwischen Mann und Frau aufgerufen … und dennoch kann auch ein solcher Ort nicht mal eben ein so starkes gesellschaftliches Dogma aufgeben. Ein Gefühl von männlicher Übermacht gab es (für mich) auch während des Sommercamps. Natürlich sehr, sehr viel weniger als im Alltag.
Schon vorher haben mir – vor allem Männer – prophezeit, dass ich mich schnell und gut abgrenzen muss während des Sommercamps. Und dem war auch so.
Ein einseitig aufgezwungener Arm um die Hüfte kann deutlich übergriffiger sein als eine entspannte, achtsame Annäherung beim Tanzen. Ich wünsche mir, dass die Männer hier einfach noch etwas mehr ihre Antennen spitzen um die Reaktion des Gegenübers wahrzunehmen. Das „Ja“ oder „Nein“ wird ja meistens schon durch Körpersprache, Antworten in der Unterhaltung oder ähnlichem ausgedrückt. In einigen wenigen Fällen reicht das aber offenbar noch nicht, wodurch der Mann sich und auch die Frau in eine unangenehme Situation bringt. Ich musste beispielsweise im Beisein einiger anderer Menschen eine deutliche Abfuhr erteilen, da der Herr mein Desinteresse an einem engeren Kontakt auch nach mehreren Anläufen leider immernoch nicht registriert hatte und nun ausgerechnet in der Dorfkneipe einen weiteren Versuch unternahm. Aber immerhin, da haben wir wohl beide was gelernt.
Die Frage die sich mir da stellt ist, ob das zwangsläufig so sein muss. Ist es eben das „Los des Frau-seins“, sich immer und überall abgrenzen zu müssen? Ist nicht genau das einer der Gründe, warum es vielen Frauen so schwer fällt, sich zu öffnen? Aus einer ständigen Angst heraus, dass in einem Moment fehlender „Deckung“ jemand die eigene Grenze überschreitet und man eben nicht vertrauen kann? Oder geht es Männern eigentlich genauso und es wird nur weniger darüber gesprochen? Mutmaßlich gibt es doch auch umgekehrt Kontaktversuche, die als plump oder übergriffig wahrgenommen werden?
Das Zusammensein von Mann und Frau ist im ZEGG schon sehr, sehr viel achtsamer als ich es sonst oft erlebe. Ein „Nein“ wird, wenn es denn mal deutlich genug ausgedrückt wurde, auch sofort akzeptiert. Eine interessante Erfahrung war für mich die Äußerung eines Mannes, der folgende These aufstellte: „Als Mann wächst du auf mit dem Gedanken, dass du niemals so viel Sex bekommen kannst, wie du gern hättest.“ Aus dem allgemeinen Beipflichten der Männer um ihn herum habe ich geschlossen, dass er damit zumindest nicht allein ist.
Unweigerlich drängte sich mir die Frage auf, ob wir Frauen als „natürliches Gegenüber“ eigentlich mit dem Gedanken aufwachsen, dass Männer immer mehr Sex wollen werden als wir geben können? Hm, so ganz unvertraut ist mir der Gedanke nicht. Aber das würde jetzt zu weit führen. Vielleicht haben ja die weiblichen und auch die männlichen Leser eine Meinung dazu 🙂
Unterm Strich muss ich zugeben, dass die vermehrte Abwesenheit von Sexualität und nackten Körpern nach dem ZEGG Sommercamp auch mal wieder ganz schön ist. Es gibt eben auch immer Teilnehmer, die ihre Nacktheit und Körperlichkeit auf eine Weise leben, wie sie mir einfach gar nicht entspricht. Zum Beispiel beim Spüldienst. Und irgendwann nervt es mich einfach.
Ja, ich glaube dass Körperlichkeit grundsätzlich in unserem Alltag eine viel zu kleine Rolle spielt und ein offenerer Umgang mit jeder Art von Begegnung wünschenswert ist. Im ZEGG Sommercamp ist das allerdings in einem Maß der Fall, der so weit weg von meinem Alltag ist, dass es mich manchmal überfordert hat. Aber wohl auch, weil ich mich emotional viel damit beschäftigt habe. Genauso gab es Familien oder Elternteile mit Kindern oder eben auch einfach Menschen ohne Kinder, für die Sexualität im ZEGG Sommercamp gar keine Rolle gespielt hat während der ganzen Zeit. Und ich bin gespannt, wie viel davon auch einfach mein eigenes Thema ist und wie ich die Sache in 10 Jahren sehe 😀
So what – ZEGG Sommercamp
Wir werden sicher wieder hinfahren, da sind mein Partner und ich uns einig. Es gab so viele schöne Erlebnisse, offenen Austausch mit anderen Menschen über einige Themen, die sonst gesellschaftlich tabu sind. Wenn man mal anfängt über Eheprobleme, die eigenen Ängste, Bedürfnisse und dergleichen zu sprechen merkt man plötzlich, wie vielen Menschen es eigentlich genauso geht. Die heile Fassade, die wir bei anderen von Außen sehen hat mit der Realität meistens nicht viel zu tun. Und hier, im ZEGG, dürfen genau diese Fassaden abgebaut werden und das ermöglicht einen so verbundenen und offenen Kontakt zueinander, wie er im „normalen“ Alltag selten möglich ist.
Diese Erfahrung, ganz ich selbst sein zu dürfen, in Ruhe Zeit zu haben meine Ängste anzuschauen, wenn sie sich denn zeigen wollen und dabei gehalten und unterstützt zu sein ist etwas, was ich nicht mehr missen möchte. Und auch die Freude, die Leichtigkeit im Leben und innige Momente der Verbundenheit zu teilen bereichert mich nachhaltig.
Was denkst du darüber? Hast du schon ähnliche Erfahrungen gemacht? Überlegst du, zu einem Sommercamp – vielleicht auch in einer anderen Gemeinschaft – zu fahren? Ich bin sehr gespannt auf deine Meinung, entweder in den Kommentaren oder an luise at zeitgeistich punkt de!
Und wenn du den Artikel magst – spread the love and share the happiness (auf Facebook, Pinterest oder wo du sonst bist). Ich danke dir von Herzen.
Danke Luise für diesen liebevollen Beitrag.
Alles Liebe, Elmar (ZEGG-Einsteiger)
Lieber Elmar, herzlich gern, ich bin ja froh, dass das ZEGG so einen Raum schafft! 🙂 Einen guten Einstieg dir! Alles Liebe, Luise
Schöne Grüße und ich hoffe Euch beiden geht es gut. felix k
Lieber Felix, es geht uns wunderbar – vielen Dank! 🙂 Ich hoffe, dir auch?
Liebe Luise, ich bin gerade über einen interessanten Tippfehler in deinem Artikel gestolpert. Abends im Großzelt gibt es nämlich keine Konzerne. 😉
Alles Liebe
Markus
Lieber Markus, danke für den Hinweis, habe ich soeben geändert 🙂