Da es wieder etwas länger geworden ist anbei eine Übersicht 🙂
1. … und plötzlich ist unser Alltag ganz schön weit weg
Ich weiß gar nicht mehr genau, wie uns das artgerecht Camp (https://www.artgerecht-projekt.de/camps/) gefunden hat. Aber ziemlich schnell war klar: da wollen wir hin. Mit zwei kleinen Kindern, ohne Großeltern vor Ort und beiden Jobs ist unser Alltag in der Stadt oft ziemlich voll und kräftezehrend. Die Camp-Woche fiel ohnehin in die Schließzeit der Kita. Im „schlimmsten“ Fall gibt es also ein paar entspannte Tage mit den Kindern, im besten Fall wertvolle Impulse für unser Familienleben. Uns bewegte vor allem eine Frage: Wie sieht eigentlich artgerechtes Leben als Familie aus? Und was davon können wir in unseren Alltag integrieren, um uns und unsere Kinder zu entlasten? Sowohl jetzt gerade in der Stadt als auch bald auf dem Land (vier Tage vor Abreise haben wir ein Haus gekauft! :D).
Für ein paar Tage ist unser voller Alltag also weit weg. Ohne Handys für uns und ohne klassisches Spielzeug für die Kinder (das fand sogar unser großer Sohn fair) – wir sind im artgerecht Camp.
2. Was ist das artgerecht Camp?
Das artgerecht Camp ist ein Eintauchen in ein kleines Dorf auf Zeit. In unserem Fall bestand es aus einem Tipi-Dorf auf einem Campingplatz in der Nähe von Münster – wobei sich Ort und Rahmenbedingungen natürlich von Jahr zu Jahr ändern können. Dieses Jahr waren es zum ersten Mal rund zwanzig Familien. In den vergangenen Jahren waren es wohl weniger. In der zweiten Woche (es gibt 2 Camps nacheinander) sogar noch mehr, weil zusätzliche Wohnmobile und Zelte ein eigenes Dorf gebildet haben. Vielleicht kann da jemand Erfahrungen teilen, wenn er oder sie das hier liest und in der zweiten Woche da war?
Die Kosten liegen bei 2.450 € für fünf Nächte mit Vollverpflegung. Auf den ersten Blick wirkt das viel – doch wenn man bedenkt, was darin enthalten ist, relativiert sich der Preis. Ein Team von etwa zehn Menschen vor Ort (plus Orga und Backoffice), durchgehend hochwertige Bio-Verpflegung, Tipis, Toiletten- und Duschwagen und natürlich das pädagogische Programm. Es gibt nicht nur regelmäßige Mahlzeiten, sondern insbesondere für die Kinder auch kleine Snacks zwischendurch, was im Camp-Alltag mit viel Bewegung wichtig ist. Und klar: es ist ein Privileg, sich das leisten zu können – das möchte ich nicht kleinreden. Für uns fühlt es sich im Rückblick aber stimmig an.
Das artgerecht Camp hat einen großen, abgetrennten Bereich auf dem Campingplatz, sodass man die Wohnmobile der anderen Gäste kaum sieht. Insgesamt ist es angenehm ruhig, man kann wirklich eintauchen. Nicola und das Team sind die ganze Zeit präsent – das gibt dem Ganzen viel Halt und Verlässlichkeit.
Auf der Website findet sich ein Satz, den ich als Essenz des Camps als sehr passend empfunden haben:
„Unser Motto ist: Born to be wild – in der Natur lösen sich unsere Probleme auf, weil wir plötzlich verstehen, wie wir gemeint sind. Und alles, was wir dafür brauchen, haben wir bereits.“
3. Ankunft im artgerecht Camp
Die Tage vor dem artgerecht Camp waren alles andere als entspannt. Am Donnerstag davor hatten wir gerade erst unser Haus gekauft, am Sonntag unseren Schrebergarten in Hannover abgegeben. Inklusive finalem Ausräumen und Kistenschleppen. Unser Flur glich einem Provisorium aus „Gartenresten“, die noch verräumt werden mussten und einem Haufen zusammengeborgter Ausrüstung fürs Camp. Wir waren also mehr als urlaubsreif. Pünktlich zur Abfahrt bekam ich dann auch noch meine Periode, juhu.
Unterwegs gab es eine unerwartete Sperrung – eine Stunde später als geplant rollten wir endlich auf den Campingplatz. Ich war innerlich sehr gestresst und hatte die Sorge, wir würden die ganze Zeit die Familie sein „die beim ersten Kreis gefehlt hat“. Die Kinder haben natürlich unseren Stress gespürt und wurden nach einer sowieso schon längeren Autofahrt auch immer unruhiger.
Bei unserer Ankunft war – natürlich – alles völlig entspannt. Das Team hat uns ganz lieb in Empfang genommen. Eine Mitarbeiterin hat uns unser Tipi gezeigt und uns Hilfe beim Auto ausräumen angeboten. Ein erstes spürbares Ausatmen…
Relativ schnell begann es zu nieseln, und das Team ging kurzerhand durch die Tipis und verteilte Kinderbücher. Jemand hatte wirklich den Plan, hier für Familien eine entspannte Zeit zu schaffen 😀
Noch am ersten Nachmittag lernten wir Dado kennen, unseren Wildnispädagogen, der in den kommenden Tagen den Dorfkreis leiten würde. Und wie sich herausstellte, stammt er, genau wie ich, ursprünglich aus Leipzig.
Der erste Tag stand dann vor allem im Zeichen von Orga: Wie läuft das Camp ab? Wann treffen wir uns im Kreis? Wo findet was statt? Und dazwischen huschte Nicola durch das Camp.
4. Nächte im Tipi
Die erste Nacht im Tipi war für mich schlicht eine Katastrophe. Unser Zelt hatte unten einen offenen Spalt von mehreren Zentimetern, durch den Kälte und Rauch vom nahen Lagerfeuer hereinzogen. Außerdem standen wir fast direkt neben dem großen Gemeinschaftszelt mit Feuerstelle – „mittendrin“ also, was nicht unbedingt mein Wohlfühlort ist. Schon bei der Übergabe hatte ich ein leises Ziehen im Bauch. In der Nacht war es dann laut am Feuer, 13 Grad kalt und unsere campingunerfahrenen Kinder befreiten sich natürlich prompt aus den Schlafsäcken. Ich lag wach, ständig in Sorge, dass sie frieren, nass werden oder von der Isomatte kullern. Geschlafen habe ich vielleicht zwei Stunden. Am Morgen war ich völlig am Ende – und dann gab es nicht mal grünen Tee (Kaffee vertrage ich nicht)…

Im Morgenkreis konnte ich meine Tränen nicht zurückhalten. Für mich war klar: Wenn die Nächte so bleiben, fahren wir nach Hause. Kein Spruch – ohne Schlaf geht gar nichts, egal wie artgerecht oder naturpädagogisch. Zum Glück hat Dado sofort gesehen, wie fertig ich war. Ohne viele Worte stellte er uns ein stilleres Zelt mit Bodenlippe in einer ruhigen Ecke auf. Ich habe selten so unmittelbar Erleichterung gespürt. Auch eine andere Familie bot uns spontan einen Tausch an, den wir dann gar nicht mehr brauchten. Diese Fürsorge, dieses „gesehen werden“, hat mich tief berührt und dankbar gemacht.
Die folgenden Nächte wurden erheblich besser, das Zelt und der Stellplatz hat viel besser gemacht. Ich habe eine „Mauer“ aus Taschen und Krams um die Isomatte herum gebaut, damit da niemand rausfallen kann. Und ich war klarer darin, dass sich die Kinder (auch gegen anfängliche Widerstände) einfach richtig warm anziehen zum schlafen, sodass sie auch nicht gleich frieren würden, wenn sie nicht im Schlafsack liegen.
5. Tagesablauf im artgerecht Camp & Rolle von Nicola
Die Tage im Camp werden im Wesentlichen durch die Mahlzeiten und die Dorfkreise strukturiert – also die regelmäßigen Treffen, bei denen die Gemeinschaft zusammenkommt. Am Vormittag gibt es meist Input von Nicola: thematische Workshops oder offene Frage-und-Antwort-Runden. Nachmittags stehen verschiedene Angebote auf dem Programm – vom Buden bauen im Wald über Feuer machen bis hin zu Kräuterwanderungen (unsere fiel leider ins Wasser). Mein persönlicher Lieblingstag war der mit Frauen- und Männerkreis. Erst die Mütter unter sich, während die Väter die Kinder hüteten, dann umgekehrt. Was genau stattfindet, hängt vermutlich auch davon ab, welche Menschen das Programm mitgestalten.
Nicola ist in dieser Woche gefühlt rund um die Uhr präsent. Zu Hause dachte ich schon oft, dass es praktisch wäre wenn uns jemand der Ahnung hat mal live in der Familie miterleben und von außen draufschauen könnte… Hier tut Nicola das. Dass sie sich dabei auf 20 Familien gleichzeitig einlässt, ist beeindruckend. Sogar nachts, so wurde mir erzählt, ist sie teilweise noch über den Platz gegangen, wenn Kinder lange weinten, und hat Impulse durch die Zeltwände gegeben.
Für uns war einer dieser Momente mit Nicola beim Frühstück. Unser Großer möchte morgens oft sehr lange – manchmal fast eine Stunde – auf dem Arm sein oder auf dem Schoß sitzen und weint oder schreit sonst viel. Er braucht einfach richtig lange, um wirklich wach zu sein. Zu Hause bedeutet das regelmäßig Stress, weil wir eigentlich losmüssen. Nicola saß einfach daneben, erinnerte mich geduldig ungefähr acht Mal daran, erst einmal mein eigenes Müsli zu essen. Und siehe da: Irgendwann stand mein Sohn ganz von selbst auf und holte sich einen Nachschlag von seinem Frühstück. Alleine, verrückt.
Er war allerdings wenig begeistert von Nicola („Warum sagt die Frau sowas?“) Das konnten wir aber gut besprechen und einfangen. Eine kleine Szene, aber für mich eine wichtige Erinnerung: Erst für mich sorgen – und nicht in die „Full-Service-Falle“ tappen. Wissentlich, dass die wahrscheinlich viele Eltern beim ersten Kind mitnehmen und die spätestens mit mehreren Kindern anstrengend wird.
Ich habe Nicola als starke, selbstbewusste und gleichzeitig humorvolle Frau erlebt. Manchmal auch direkt, vielleicht für manche etwas zu direkt. Aber ich habe großen Respekt vor der Aufgabe, die sie hier trägt. Jeder weiß wer sie ist und hat die Erwartung, dass sie auf jede Frage eine schlaue Antwort parat hat. Ohne viel Pause, ohne echten Rückzug. Am Ende der Woche war spürbar, dass auch sie Kräfte gelassen hat, was nur allzu verständlich ist. Das ganze Camp trägt deutlich ihre Handschrift und dreht sich um ihre Präsenz.
6. Unser Tagesablauf als Familie
Unsere kleine Tochter kommt zu Hause schon oft ohne Mittagsschlaf aus. Im Camp dagegen ist sie nachmittags häufig in der Trage eingeschlafen – manchmal auch erst gegen 17 Uhr. Zu Hause hätte mich das wahnsinnig gemacht, hier war es völlig in Ordnung. Sie war abends trotzdem müde genug zum einschlafen, und im Zweifel hätte ich jederzeit mit ihr noch einmal ans Lagerfeuer gehen können, wo noch andere Eltern (und manchmal Kinder) gesessen haben.
Meistens sind wir abends gemeinsam mit den Kindern schlafen gegangen. Einmal, als beide ungewöhnlich früh eingeschlafen waren, haben wir uns noch ans Lagerfeuer gesetzt – mit der „Luke“ am Zelt offen, sodass wir zumindest etwas hineinschauen konnten. Ganz ohne Babyphone und mit einer für uns neuen Gelassenheit, dass wir auch über die Entfernung schon mitbekommen, wenn etwas ist.
Reine Paar-Zeit gab es in dieser Woche kaum. Das war im Gegensatz zu unserem Alltag zu Hause etwas ungewohnt, wo wir die Abende zumindest manchmal für uns haben. Aber im Camp hat mich das wenig gestört: Immer wieder hatten wir die Möglichkeit halbwegs in Ruhe zu sprechen, wenn beide Kinder tief im Spiel versunken waren. Auch etwas, was es so zu Hause kaum gibt, vor allem nicht in der Wohnung.
Dass es während unserer Camp-Zeit oft geregnet hat, hat unserem Erlebnis nicht geschadet – im Gegenteil. Die Feuerstellen und das große Gemeinschaftszelt sind überdacht, und es war richtig schön, mit anderen Familien am Feuer zu sitzen, während draußen der Regen rauscht. Viel entspannter, als einen verregneten Nachmittag allein in einer Ferienwohnung oder in einem Zelt alleine auf dem Campingplatz zu überstehen.
7. Erkenntnisse, Emotionen und alles, was im artgerecht Camp anders war als zu Hause
Im artgerecht Camp fand ich es gar nicht so entspannt, habe aber hinterher gemerkt, wie groß der Effekt der Entspannung dann eben doch war. Vieles spürbar leichter als zu Hause. Da war zum einen die Entschleunigung: kein Blick aufs Handy, keine To-do-Liste im Hinterkopf (zumindest nicht über „duschen“ und „abwaschen“ hinaus), keine Termine, die organisiert werden mussten. Stattdessen eine Gemeinschaft von Erwachsenen, die ähnlich ticken. Und immer eine helfende Hand, wenn man mit Kleinkind auf dem Arm und Geschirr in der Hand dastand.
7.1. Kinderbetreuung
Besonders spannend fand ich, dass drei Menschen, die explizit mit „Kinderbetreuung“ betraut waren, gereicht haben, um zwanzig Familien deutlich zu entlasten. Natürlich war es keine klassische Betreuung, sondern vielmehr offene Begleitung. Erwachsene ohne eigene Kinder dabei, die Kopf und Hände frei hatten (und die Aufgabe), auf die Kindergruppe zu schauen. Sie machten hier und da Angebote, doch die meiste Zeit bestimmte die Kindergruppe selbst ihr Spiel. Viel hat sich auch einfach ganz organisch ergeben wie Situationen bei denen drei Väter mit zehn Jungs Fußball gespielt haben. Alles ohne Planung. Für mich war das sehr entlastend: nicht ständig mitdenken zu müssen, was als Nächstes ansteht.
7.2. Entspanntere Eltern
Den größten Unterschied hat für uns jedoch nicht das Programm oder die Struktur gemacht – sondern ich glaube wir Eltern selbst. Ohne Handys, ohne das ständige „Noch schnell dies und das erledigen“ konnten wir viel präsenter sein. Und präsente, entspannte Eltern bedeuten entspannte Kinder. Unsere beiden hatten in dieser Woche kaum Konflikte miteinander – etwas, das wir aus dem Alltag so wirklich gar nicht kennen.
Und auch andere Kinder, die von ihren Eltern als zu Hause wirklich sehr anstrengend beschrieben wurden oder sogar ADHS-Diagnosen hatten (anderes Thema, ich weiß…) haben wir als völlig normale und aktive, aber immer wieder auch total entspannte Kinder kennengelernt.
7.3. Abwesenheit von „Beute“
Auch die Abwesenheit von mitgebrachtem Spielzeug tat spürbar gut. Es gab nur das, was die Kinder sich selbst gebaut oder gefunden hatten, plus ein paar Schnitzmesser. Keine bunten Plastiksachen, keine Medien, keine Zuckerberge. Stattdessen Natur, Gemeinschaft und viel freies Spiel. Unser hochsensibles, großes Kind – zu Hause eher vorsichtig und barfuß maximal im warmen Sandkasten – stapfte hier barfuß im Regen durch das Wäldchen. Ein Bild, das mich sehr berührt hat, weil ich spüren konnte, wie sehr er losgelassen und entspannt hat.
Ein spannender Umstand war auch, dass ich mit weniger Schlaf als sonst trotzdem viel wacher war. Vielleicht lag es an der ständigen Dosis frischer Luft, vielleicht an der Mate (haben wir extra mitgenommen), die ich mir ab und zu gegönnt habe. Ganz sicher aber an dem Gefühl, dass hier alles nicht so schwer war und mein Kopf nicht ständig am Rattern.
7.4. Gemeinschaft
Schön waren auch kleine Gemeinschafts-Erlebnisse in ihrer Selbstverständlichkeit. Wir hatten zum Beispiel eine Abwasch-Partnerschaft mit unseren Tischnachbarn. Im Grunde geht es ja beim Abwaschen nie um vier Teller mehr oder weniger. Es geht darum, den richtigen Moment abzupassen, wenn die Situation passt und die Waschstraße frei ist. Also hat einfach derjenige, der gerade Zeit hatte, den Abwasch für alle gemacht. Ganz selbstverständlich, ohne Buchführung, wer zuletzt dran war. Nicht nur deswegen haben wir die ganz lieb gewonnen 🙂
Und auch über praktische Gemeinschaftshilfe hinaus ist es natürlich schön, wenn man sich fast jederzeit und überall mit anderen, ähnlich gesinnten Eltern austauschen kann und schnell eine Rückmeldung von „außen“ bekommen kann.
8. Was wir uns anders gewünscht hätten
Der erste Punkt ist für mich, dass ich mir mehr Mut beim (veganen) Essen gewünscht hätte. In den Unterlagen zur Vorbereitung stand, dass es vegetarisches Essen gibt und auch sonst nicht auf besondere Ernährungsweisen Rücksicht genommen werden kann. So weit, so verständlich. Auf Nachfrage haben wir erfahren, dass meistens sowieso einzelne Komponenten gekocht werden. Auch, damit die Kinder sich aussuchen können, was sie essen wollen. Das erleichtert es natürlich auch, auf Milchprodukte und Ei zu verzichten.
Uns wurde aber auch angeraten, Notfallessen mitzunehmen, was wir auch gemacht haben. Im Alltag essen wir meist vegan, weil ich schon lange kein Fisch und Fleisch mehr esse und mein Mann keine Milchprodukte verträgt. Insbesondere für ihn ist es also wichtig, dass es milchfreie Alternativen gibt. Eine andere vegane Familie hatte gefühlt den halben Kofferraum voller Konserven, weil sie ebenso verunsichert waren wie wir. Letztendlich waren die meisten Mahlzeiten zum großen Teil vegan und es hätte gar nichts „extra“ gebraucht. Lediglich um eine Butteralternative haben wir noch gebeten (Gäste haben keine eigene Kühlmöglichkeit, sonst hätten wir die auch selbst mitgebracht). Dann hat es für uns alles richtig gut funktioniert. Überhaupt ist es eine ganz schöne Leistung, dass ein Koch (!) für so viele Menschen 3 Mahlzeiten am Tag kocht und noch ein paar Snacks zwischendurch bereitstellt.
Beim Essen war mir jedenfalls nicht so ganz klar, warum nicht einfach von „überwiegend vegan“ gesprochen wird um den Veganern die Bedenken zu nehmen.
Wer eine Nussallergie hat sollte aber auf jeden Fall nicht ins Camp fahren, es gab neben morgendlichem Mandelmuß auch eine Menge Nüsse zum Snacken zwischendurch. Überhaupt haben wir alle deutlich größere Mengen gegessen als zu Hause, offenbar ist ständiges „draußen sein“ anstrengend für den Körper.
Der zweite große Punkt über den ich viel nachgedacht habe ist der starke Fokus auf Nicola als Mensch. Das hat zwei Dimensionen, nämlich für sie selbst und für die Teilnehmenden. Zum einen ist es für sie natürlich ein ganz schöner Kraftakt als einzige „Quelle des Wissens“ so viele Familien pädagogisch zu begleiten. Gefühlt gab es vor allem gegen Ende ein Wettrennen (ja, vor allem der Mütter), wer sie „haben darf“, sei es um Situationen zu begleiten oder Redezeit beim Fragen stellen zu bekommen. Jede/r wollte sicherstellen, auch das meiste aus dem Camp und Nicolas Anwesenheit herauszuholen. Klingt anstrengend? Ist es wahrscheinlich auch.
Nicola wirkte gegen Ende des Camps auch sichtlich erschöpft und an einem Nachmittag auch ganz schön gereizt – total menschlich und völlig ok. Vielleicht gibt es ergänzend andere tolle Menschen, die pädagogisch richtig fit sind, die auch Fragen beantworten oder Situationen begleiten können. Dann hätten auch mehr Menschen Gelegenheit um Rat zu fragen und wären vielleicht eher „satt“ in dem Bedürfnis, Hilfe bekommen zu haben. Und auf Nicolas Schultern würde nicht ganz so viel lasten.
Was ich mir in diesem Camp noch gut vorstellen könnte ist ein stärkerer Fokus auf die Stabilisierung des Eltern-Selbstbildes. Ziel ist für mich eigentlich, dass ich nicht wegen jeder Situation einen Ratgeber fragen muss – egal ob Buch oder Mensch. Ein Grundgerüst, einen Nordstern, eine gemeinsame Basis, you name it. Vielleicht sind das auch die artgerecht-Bücher, ich habe bisher nur Slow Family gelesen (klare Empfehlung!).
Ich wünsche mir mehr Unterstützung dabei, einen ganz eigenen inneren Kompass übers Elternsein zu entwickeln, eine eigene Stabilität in „Wie will ich Mama/Papa sein“ und auch mehr Selbstbewusstsein darin, dass wir das können und gut machen (wobei zumindest das immer wieder mal zur Sprache kam). Nur bei Situationen aus denen wir wirklich schon lange nicht rauskommen und wir nicht weiter wissen – und die wird es immer geben – möchte und muss ich um Unterstützung bitten.
Dieses Grundgerüst zu haben hilft (mir) ganz oft gar nicht unmittelbar in fordernden Situationen. Aber ich bin heute gut in der Lage, dank des „Grundgerüst“, was wir für uns durch Transparents entwickelt haben, mit Ruhe auf Situationen zu schauen und Entscheidungen zu treffen. Meine Kinder wirklich zu sehen und hinter ihr Verhalten zu schauen. Ich habe ein ziemlich gutes Gespür dafür, wer gerade von was zu wenig oder zu viel hat. Das heißt nicht, dass ich das immer gleich ändern kann (oder wenn ich erschöpft bin trotzdem häufig ungünstig reagiere), aber ich reflektiere es mit einer recht großen Treffgenauigkeit. Und ich weiß, wie ich in Standardsituationen reagiere, zum Beispiel wenn ein anderes Kind auf dem Spielplatz „mitspielen“ will und meine Kinder nicht teilen wollen, ohne darüber groß nachdenken zu müssen.
Transparents ist für uns das Grundgerüst, wenn man so will der Keller und die Bodenplatte unseres Familien-Hauses, damit es sicher steht. Artgerecht in der Form wie wir es erlebt haben mit vielen kleinen und großen Tipps und Themen für den Alltag der Aufbau darauf. Es gab ganz wenige Themen bei denen ich pädagogisch nicht mitgegangen bin, aber das darf ja auch sein.
9. Rückkehr
Interessanterweise war es vor Ort gar nicht so, dass ich das Gefühl hatte, es sei wahnsinnig entspannt. Auch dort mussten wir duschen, allen vieren mal die Zähne putzen, Abwaschen, Trinkflaschen auffüllen – eben all die kleinen Dinge.
Als wir zurückkamen, war ich die ersten Tage einfach richtig platt. Müde wie schon lange nicht mehr – so, als hätte mein Körper erst dann gemerkt, wie unfassbar voll unser Leben eigentlich ist. All die visuellen Eindrücke, das Stadtleben, die Lautstärke, das viele Spielzeug (und wir haben im Vergleich schon eher wenig). Dazu Handys, ständige Orga-Absprachen, starre Tagesabläufe, Termine, und dieses ständige Gefühl, irgendwohin zu müssen oder schnell fertig werden zu müssen. Überhaupt ziemlich viel „müssen“ – für uns und die Kinder. Natürlich kann der Anspruch nicht sein, dauerhaft so zu leben wie im artgerecht Camp (das würde auf die Dauer auch mit spürbaren Entbehrungen einhergehen), aber es hat gutgetan, einmal wieder so klar zu spüren, wie sich ein anderes Tempo anfühlt.
Im Rückblick habe ich gemerkt: „Entspannt“ war nicht die Abwesenheit von „To-dos“, sondern die Abwesenheit von diesem ständigen „zu viel“ und im Kopf immer schon beim nächsten Thema zu sein.
10. Tipps zur Vorbereitung (für Menschen die zum artgerecht Camp fahren)
Borgt euch oder kauft wirklich gutes Equipment! Eine Familie mit viel Campingerfahrung hatte insgesamt deutlich erholsamere Nächte – und das lag vor allem an besserem Material. Eine ordentliche Isomatte und ein warmer Schlafsack machen einen riesigen Unterschied.
Für nachts lohnt es sich, warme Kleidung einzupacken, die eure Kinder auch wirklich gerne anziehen. Vor allem bei Camping-Neulingen oder kleineren Kindern ist es hilfreich, eine Alternative zum Schlafsack zu haben, falls das nicht gut klappt. Ein Schlummersack funktioniert zum Beispiel (wenn er dick genug ist).
Das Thema Zecken haben wir ehrlich gesagt unterschätzt. Ich war heilfroh, dass mein Mann vernünftige Zeckenzangen eingepackt hatte – denn am Ende hatten 3 von 4 von uns eine Zecke. Ein Kind kam nach dem ersten Wald-Ausflug sogar mit sechs (!) Zecken zurück. Wenn man gleich nach dem Waldausflug die Kinder kontrolliert laufen die meisten noch „lose“ herum und lassen sich leicht entfernen.
Zur Infrastruktur: Es gibt einen eigenen Toilettenwagen in etwas Laufentfernung und ein Dixi direkt am Platz, wenn es mal schnell gehen muss. Dazu zwei Duschwagen. Klar, die sind oft besetzt, weil natürlich alle in den Pausen duschen wollen, aber wenn man mal dran ist, ist das für einen Campingplatz echt luxuriös.
Bücher (außer den Gute-Nacht-Geschichten) hätten wir uns sparen können – wir haben sie kein einziges Mal gelesen, obwohl es öfter geregnet hat. Die würden wir beim nächsten Mal zu Hause lassen.
Ein Moskitonetz hatten wir auch extra gekauft – das war unnötig. Wenn nachts nicht permanent über 25 Grad sind und man die Luke vom Tipi offenlassen muss, braucht man es nicht wirklich. Bei unserer Wettervorhersage hätten wir das eigentlich ahnen können.
Zum Thema Mittagsschlaf waren wir fein raus, weil unsere kleine nicht unbedingt einen braucht oder eben in der Trage geschlafen hat. Ich würde nicht mit einem Kind fahren, das unbedingt seinen Mittagsschlaf im Zelt braucht und nicht getragen werden kann oder will. Wir hatten eine Familie dabei bei denen das so war und für die war es stressig, weil es tagsüber einfach nie ganz ruhig ist auf dem Platz.
Rückblickend war ich froh, dass wir erst dieses Jahr gefahren sind und nicht schon letztes, weil die Kinder schon selbstständiger waren. Unsere waren reichlich 2 und reichlich 5 – das hat gut funktioniert. Aber da es gar nicht so einfach ist, überhaupt Plätze zu bekommen würde ich es lieber früher ausprobieren als gar nicht!
11. Was wir emotional vom artgerecht Camp mitgenommen haben
Was wir vor allem mitgenommen haben, ist das Gefühl, nicht allein zu sein. Wir haben wieder gemerkt, dass andere Familien mit denselben Fragen ringen und über ähnliche Hürden stolpern. Das hat ganz viel Druck genommen. Jede Generation geht einen Schritt, wir haben weder die Aufgabe noch die Möglichkeit, alles richtig zu machen und all das zu heilen, was in den Generationen vor uns passiert ist. Es reicht, wenn wir es ein bisschen besser und ein bisschen bewusster machen.
Gleichzeitig war das Camp eine absolute Bestätigung, weiter klar und kraftvoll auf unserem Weg zu gehen, auf dem wir sowieso schon sind. Die Klarheit, wie es sein kann und was der „Nordstern“ ist, wissentlich, dass unser normales Leben nie ganz dorthin kommen wird und das auch gar nicht der Anspruch ist.
Insbesondere ich habe auch eine größere innere Klarheit entwickelt, wie unser zukünftiges Leben und unser Alltag auf dem Land in unserem Haus aussehen soll – was wir mitnehmen ins „neue Leben“ und was wir bereitwillig zurücklassen. Wir brauchen kein Trampolin im Garten und kein tolles, neues Spielzeug. Wir brauchen einen vernünftigen Schnitzplatz und eine gute Feuerstelle.
12. Was wir ganz praktisch vom artgerecht Camp mitgenommen haben
Wir tragen die Lieder im Herzen und singen sie auch oft, das ist richtig schön. Zu hören, wie unsere 2jährige beim Schuhe anziehen „Feuer und Rauch“ singt, berührt mich.
Ein kleines Stück Holz aus dem Lagerfeuer ist mit uns nach Hause gewandert. Es soll in unserem Gartenfeuer weiter brennen – Nicolas Impuls zum Thema „die Flamme weitertragen“. Fand ich richtig schön.
Zu Hause wird es jetzt einen Redestab geben. Jeder darf damit einen Familienkreis einberufen, wenn etwas zu besprechen ist – Regeln, Wünsche, kleine Themen. Das war für mich einer der wertvollsten Impulse.
Eine Hängematte kommt definitiv noch in unseren Garten. Und wir richten eine Ecke ein mit Erde, Wasser und Sand – einfach zum Matschen. Ganz ohne Insta-taugliche „Matschküche“, sondern so richtig bodenständig.
Praktisch auch: Trekkinghosen und robuste Handschuhe für die Kinder. Damit erledigt sich die ständige Sorge um dreckige oder kaputte Klamotten.
Mein Mann hat sich ein eigenes Schnitzmesser gewünscht – für Erwachsene. Gute Idee, finde ich.
Und dann natürlich: Räucherwerk. „Feuer und Rauch“ singt sich einfach nicht ohne Feuer und Rauch 😀 Ich wollte schon länger Räucherzeug besorgen, um Momente von Achtsamkeit und Gemeinschaft bei uns zu Hause zu stärken – jetzt ist klar, dass wir das wirklich umsetzen.
Ton und Lehm für kleine Handwerksprojekte stehen auch auf der Liste.
Und (mal wieder) der gute Vorsatz: die Kinderzimmer auszumisten. Nochmal. Und wieder. Und wahrscheinlich immer wieder.
13. Essenz und ob wir wiederkommen
Das Camp hat uns wieder gezeigt, wie sehr es sich lohnt, immer wieder Räume für bewusstes ausatmen, bewusstes „weniger“ und kreatives schaffen zu lassen. Es hat uns daran erinnert, dass weder wir noch die Kinder das Problem sind, sondern die Welt in der wir leben und die Ansprüche, die diese Welt und wir selbst an uns alle stellen.
Wie geht es mit uns und artgerecht weiter? Ich habe erstmal das Schulkinderbuch von Nicola gekauft, habe ja noch ein Jahr Zeit es zu lesen. 😀 Vor dieser Phase habe ich richtig Respekt und hoffe auf ein paar weitere Impulse, wie wir gut in einem System begleiten können, hinter dem wir selbst nicht zu 100% stehen ohne das Kind in ständige innere Konflikte zu bringen.
Unser großer Sohn fragt öfter danach, ob wir mal wieder ins artgerecht Camp fahren können. Im Moment glaube ich nicht, dass wir nochmal hinfahren, einfach weil das, was wir erleben durften, für den Moment reicht. Ich habe aber richtig Lust bekommen, andere, vergleichbare Angebote zu suchen und das zu unserer Art des Urlaubens mit Kindern zu machen. Angefangen haben wir schon (vor dem artgerecht Camp) in SiebenLinden.
Wenn unser großer Sohn sich mit seinen 5 Jahren seinen Traumurlaub zusammenstellt, dann will er erst nach Sieben Linden, dann ins artgerecht Camp, dann nach Jahnishausen zu meinem Onkel in die Lebenst(r)aumgemeinschaft und dann nochmal nach Sieben Linden. Oder umgekehrt, ich weiß es nicht mehr. Spannend ist, es sind alles Orte, in denen Gemeinschaft und draußen sein ganz oben steht. Es scheint mir, unser großes Kind hat schon einen sehr feinen inneren Kompass.
14. Und zum Abschluss – 5 kleine Snippets, die wir vom artgerecht Camp mitgenommen haben:
Es gibt einige Dinge, die wir ganz konkret mitgenommen haben. Impulse, Regeln und Anregungen – anbei die wichtigsten.
- Die Themen „Sicherheit & Gesundheit“ entscheiden wir – ohne Diskussion. Haben wir vorher auch gemacht, aber oft mit innerem Ringen – jetzt haben wir mehr Klarheit, und das macht die Kommunikation gegenüber den Kindern leichter.
- Das Ziel ist, weniger als 100 Fragen am Tag zu stellen. Klingt viel, ist es aber nicht. (Spoiler: wir sind dran 😅)
- So lange raus, wie Medienzeit war. Ein einfacher, aber wirksamer Ausgleich, auch wenn es bei uns gerade gar nicht viel Medienzeit gibt.
- Wenn wir zu Besuch sind oder uns jemand besuchen kommt erst die Kinder „füllen“. Sie in der Situation ankommen lassen, bevor wir Erwachsenen in Gespräche eintauchen – klingt klein, macht aber einen riesigen Unterschied.
- Am Wochenende erst vormittags raus, nachmittags dann ruhig. Wir wollen immer erst Dinge erledigen und dann zur „Belohnung“ für uns alle draußen entspannt, umgekehrt funktioniert es viel besser. Erst draußen Bewegung und Energie, später drinnen Ankommen, Spielen, Dinge erledigen.
16. Wo fahren wir als nächstes hin?
Diese Art unseren Sommer zu verbringen gefällt uns gut, deswegen habe ich ein paar Angebote recherchiert, die ich eine ähnliche Richtung gehen und ganz vielversprechend klingen. Vielleicht war jemand von euch dort schon und kann etwas empfehlen? Oder habt ihr noch andere Tipps und Ideen? Dann nehme ich die hier auch gern auf.
- Familiencamp der Wildnisschule Waldschrat (östlich von Berlin)
- Waldläufer Familiencamp – ein Wochenende westlich von Würzburg (für uns aktuell zu weit, aber vielleicht für andere Familien interessant)
- Kinder-Stärken-Camp im Naturcamp Meyersgrund (Ilmenau, Thüringen) – für Kinder von 9-12 (ohne Eltern)
- Draußenzeit (zwischen Münster und Osnabrück) – Angebote für Familien, aber auch Vater-Kind oder Mutter-Kind-Wochenenden
- Und von Herzen gern empfehlen wir auch Sieben Linden und die verschiedenen Familienangebote dort
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